Interview mit Gregory Boucaud

Raus aus dem Schattendasein

7. Dezember 2022, 15:00 Uhr | Meinrad Happacher
IEC 61499: Raus aus dem Schattendasein
© Pixabay/CC0

Die IEC 61499 führte 17 Jahre lang ein Schattendasein. Gregory Boucaud, Chief Marketing Officer bei UniversalAutomation.Org, erläutert im Interview, warum sich das jetzt ändern soll.

Die Norm IEC 61499 existiert ja schon seit dem Jahre 2005. Warum hat sie sich bis zum heutigen Tage in der Automatisierungstechnik nicht etablieren können?

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Erlebt die IEC 61499 ein Revival?
Der Autor: Gregory Boucaud ist Chief Marketing Officer bei UniversalAutomation.Org.
© UniversalAutomation

Gregory Boucaud: Zunächst ist es einfach so, dass die bisherige Art und Weise zu automatisieren sehr gut funktioniert hat. Gerade die SPS ist als extrem verlässliche Komponente aus gutem Grund bis heute so beliebt in der Industrie. Der Leidensdruck etwas verändern zu müssen, war über viele Jahre hinweg weder bei Endanwendern noch bei Maschinenherstellern sonderlich hoch. Hinzu kommt, dass es für eine Systemarchitektur mit verteilter Intelligenz natürlich auch eine entsprechende Rechenleistung in den Automatisierungskomponenten braucht. Ebenso ist eine hohe Bandbreite für die Datenkommunikation gefragt. Da beides erst seit einigen Jahren flächendeckend verfügbar ist, hat sich der Aufwand, in IEC61499-basierte Lösungen zu investieren in der Vergangenheit kaum gelohnt. Industrietaugliche Umsetzungen und damit auch überzeugende Machbarkeitsnachweise waren daher zu Anfang noch Mangelware.

Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass die IEC 61499 jetzt doch noch durchstartet?

Boucaud: Die Industriewelt hat sich in den vergangenen Jahren rasant verändert. Vielleicht sogar schneller als je zuvor. Klar, das liegt an der Digitalisierung, aber auch an den Krisen, die wir in letzter Zeit erlebt haben und erleben. Für zahlreiche Industriezweige, etwa die Lebensmittelindustrie, hat sich das Wettbewerbsumfeld stark verändert. Volatile Nachfrage, individuelle Kundenanforderungen, Fachkräftemangel oder Lieferkettenprobleme stellen immer höhere Anforderungen an das Automatisierungsniveau. Wer auch kleinste Losgrößen wirtschaftlich rentabel produzieren möchte, der braucht schlicht und ergreifend wandelbare Anlagen mit kurzen Umrüstzeiten. Und da ist ein Automatisierungsansatz nach IEC61499 mit seiner Eventorientierung und seiner verteilten Intelligenz einfach ideal geeignet. Und auch was das Engineering mit wiederverwendbaren Softwareobjekten angeht, bieten sich natürlich enorme Vorteile. Insofern ist es für mich eine logische Entwicklung, dass sich Automatisierung und IT-Welt in diesem Sinne weiter annähern. Besonders zuversichtlich bin ich auch deshalb, da der Zuspruch von Seiten der Anwender und Maschinenhersteller sehr groß ist. Die UniversalAutomation.Org wächst kontinuierlich.

Mit dem starken Einfluss der IT und dem Einzug damit einhergehender neuer Software-Technologien in die Automation ziehen doch auch immer stärker die Hochsprachen in die Automation ein. Wo kann die IEC 61499 da ihren Platz finden?

Boucaud: Die IEC61499 ist eigentlich das ideale Bindeglied zwischen beiden Welten. Also zwischen der IT-Welt und der Automatisierung. Denn in ihr sind die Ansprüche und Prioritäten eines SPS-Programmierers ebenso berücksichtigt wie die Anforderungen eines Hochsprachen-Programmierers. IT-Anwendungen, etwa für Datenanalyse oder Künstliche Intelligenz, lassen sich in Form eines gekapselten Funktionsblocks ganz einfach nativ in meine automatisierte Anwendung integrieren. Bei einer klassischen SPS-basierten Automatisierungsweise ist diese Integration von Hochsprachen ja nicht so leicht möglich. Die Zusammenführung von IT und OT wird in IEC61499 zusätzlich durch die eventbasierte Ausführungslogik vereinfacht.

Wo steht die UniversalAutomation.Org heute und wo sehen Sie sie in fünf Jahren?

Boucaud: Stand heute haben wir 34 Mitglieder. Und die Zeichen stehen auf Wachstum. Gerade sind das IT-Unternehmen Kyndryl und der Hardwarehersteller ASRock neu dazugekommen. Das freut uns sehr. Aber da es uns um die flächendeckende Verbreitung eines herstellerunabhängigen Automatisierungsansatzes geht, arbeiten wir pausenlos daran, weitere Mitglieder zu finden. Sicher, wer heute Teil von UniversalAutomation.Org wird, zählt ganz klar zu den Early Adoptern. In fünf Jahren, so unsere Erwartung, wird sich aber genau dieser Vorsprung schon bezahlt gemacht haben. Nicht nur für Anwender und Anlagenbauer, sondern gerade auch für die Hersteller.


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