Was muss ein moderner B2B-Distributor leisten? Welche Rolle spielt Plattformökonomie in diesem Umfeld? Ralf Bühler, CEO von Conrad Electronic, spricht im Interview über die aktuellen Herausforderungen und warum sich ein Distributor dem Wandel stellen muss.
Herr Bühler, im vergangenen Jahr hat Conrad Electronic den Großteil seiner B2C-Filialen geschlossen. Wie kam es dazu?
Ralf Bühler: Vor fünf Jahren haben wir bei Conrad einen Kurswechsel vom klassischen Technikhändler hin zur B2B-Beschaffungsplattform vorgenommen. Den Großteil dieser Transformation haben wir geschafft und fokussieren uns klar auf Geschäftskunden und das digitale Geschäft. Denn auch hier bekommt E-Commerce und die damit verbundenen Möglichkeiten moderner Beschaffung einen immer größeren Stellenwert, um Einkaufsprozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten. Große Transformationen setzen aber auch voraus, sich nicht vor notwendigen Veränderungen zu scheuen. Unsere B2C-Filialen zu schließen, war kein leichter, aber ein notwendiger Schritt, um unsere Strategie konsequent um- und fortzusetzen.
Können Sie in diesem Zusammenhang die einzelnen Bestandteile der Conrad Sourcing Platform näher erläutern?
Ralf Bühler: Als unternehmerisch denkender B2B-Distributor und gemäß unserer Conrad-DNA wollen wir nicht einfach nur Produkte verkaufen, sondern die Beschaffungsprozesse unserer Geschäftskunden optimieren und effizienter gestalten. Die Voraussetzungen dafür schaffen wir mit unserer Plattform, die alle Teile unseres Angebots vereint: Mit unserem eigenen Sortiment und dem unserer rund 500 Marktplatz-Partner bieten wir Unternehmen in Deutschland mit über 7 Millionen Produktangeboten ein gleichermaßen breites wie tiefes Angebot. Aber das ist, wie gesagt, nicht alles: Wir verstehen uns als Lösungsanbieter, der mit kundenzentrierten Lösungen, passgenauen Services sowie fachkompetenter Beratung und individueller Betreuung punktet.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Ralf Bühler: Um Unternehmen aller Größen und Branchen dabei zu helfen, Beschaffungsprozesse zu verschlanken und somit Zeit und Kosten im Einkauf zu sparen, haben wir maßgeschneiderte E-Procurement-Lösungen im Portfolio. Aktuell haben wir in Deutschland bereits 3.000 elektronische Anbindungen realisiert und wollen in diesem Bereich über Markt wachsen. Zum anderen sind wir seit jeher nah an den Bedürfnissen unserer Kunden. Das ermöglicht es uns, passgenaue Lösungen zu entwickeln und anzubieten: Ein Unternehmer in Frankfurt beispielsweise benötigte für seine Mango-Farm im Senegal ein neues Bewässerungs- und Überwachungssystem. Unsere Kundenberater haben im engen Austausch mit ihm die passende technische Lösung ermittelt. On top konnten wir ihm über unseren Marketplace dann auch noch alle hierfür benötigten Teile bereitstellen.
B2B-Stores sollen das Angebot nun ebenfalls ergänzen. Wie passen die Conrad Profistores zum Geschäftsmodell einer Beschaffungsplattform?
Ralf Bühler: Wir hören unseren Kunden zu und sind daher der Meinung, dass es bei Geschäftskunden weiterhin Bedarf nach Stationär-Formaten gibt. Dementsprechend sollen die Conrad Profi-stores, deren Sortiment klar auf den B2B-Bedarf ausgerichtet ist, unser Online-Angebot mit unterstützenden Vor-Ort-Services ergänzen. Zum einen gibt es im B2B-Bereich viel sogenannten ‚ungeplanten Bedarf‘, der über ein unmittelbar verfügbares Sortiment vor Ort gedeckt werden kann. Zum anderen ermöglichen wir es unseren Geschäftskunden in unseren Profistores, höherpreisige Produkte wie eine Industriedrohne oder einen Cobot live zu erleben. Auch das ist mit einem reinen Online-Konzept so nicht leistbar.
Welchen Stellenwert haben die Stores in diesem Gesamtgefüge – auch mit Blick auf den Conrad Marketplace?
Ralf Bühler: Wir sprechen bei den Profistores in Hürth, Regensburg und Mannheim ganz bewusst von Piloten. Denn Fakt ist, dass sie sich natürlich wirtschaftlich tragen müssen. Ob wir mit unserer Analyse bezüglich der Bedarfe und Anforderungen unserer Geschäftskunden beim Filialgeschäft richtig liegen und die Profistores sich als trag- und zukunftsfähig erweisen, wird sich zeigen. Aktuell dienen sie als Verlängerung des Online-Handels. Zusätzlich zu unserem Kerngeschäft als Händler sind wir bereits seit 2017 mit einem eigenen Online-Marktplatz in Deutschland aktiv. Unser Ziel war es, den Umsatz beim Marktplatz jährlich zu verdoppeln und haben wir erreicht. Wir nähern uns mittlerweile einem dreistelligen Millionenbetrag. Dementsprechend haben wir uns für eine Internationalisierung dieses Modells entschieden: 2021 folgte der Launch des Conrad Marketplace Österreich. 2022 sind im Juli ein Online-Marktplatz in den Niederlanden und im Dezember in Italien dazu gekommen. Und auch das Thema Cross-Border-Beschaffung haben wir diesbezüglich auf der Agenda.
Stichwort Lieferkette: Viele Unternehmen klagen über Material- und Komponentenmangel. Wie sehen Sie die aktuelle Situation und erwarten Sie eine Entspannung im Jahr 2023?
Ralf Bühler: Wir sahen in den letzten Wochen 2022 eine verbesserte Verfügbarkeit bei einzelnen elektronischen Komponenten und gehen davon aus, dass sich dieser Trend auch im Jahre 2023 weiter fortsetzt.
Wie können Unternehmen ihre Lieferkette absichern? Wie kann Conrad als Distributor dabei unterstützen?
Ralf Bühler: Hier kommen uns 100 Jahre Erfahrung als Händler zugute: Über unser über viele Jahrzehnte gewachsenes, internationales Lieferantennetzwerk können wir ein hohes Maß an Warenverfügbarkeit sicherstellen. Gleichzeitig bauen wir unser Marketplace-Netzwerk aus, um unseren Geschäftskunden über eine Vielzahl an angebundenen Sellern noch mehr Produktauswahl zu ermöglichen. Dabei verlieren wir jedoch die Produktqualität nicht aus den Augen: Von Anfang an haben wir uns für ein kuratiertes Marktplatzmodell entschieden und lassen dementsprechend ausschließlich geprüfte Hersteller und Distributoren zu. Sollte ein bestimmter Artikel dennoch nicht verfügbar sein, werden auf conrad.de proaktiv Alternativen angezeigt. Und im Fall der Fälle kann darüber hinaus das Team des Conrad Beschaffungsservice ins Boot geholt werden, das sich weltweit auf die Suche nach dem gewünschten Produkt macht.