Im Würth-Vertriebszentrum VZ West sortieren 60 Hände täglich rund 3.000 Schachteln mit Schrauben, Muttern und anderen Verbindungselementen. Ein kollaborativer Roboter steht unterstützend zur Seite. Dazu erlernte er das Sehen, Greifen und Sortieren.
Im Wareneingang des im Mai 2013 eröffneten Vertriebszentrums VZ West von Würth am Standort Künzelsau-Gaisbach arbeiten pro Tag 30 Personen im Zwei-Schicht-Betrieb, die circa 3.000 Schachteln bewegen. Sie stapeln die 500 g bis 5 kg schweren quaderförmigen Kartons voller Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben oder Stahlbauelementen von Paletten in Kleinladungsträger (KLT). Damit beträgt die Gesamtlast eines Mitarbeitenden über die Schicht verteilt mehrere Tonnen. Für den Mitarbeitenden ebenso belastend ist die Eintönigkeit der Tätigkeit. Bisher galt die konsequente Rotation nach vier Stunden als das beste Mittel, um der Ergonomie und Eintönigkeit in manuellen Abwicklungen entgegenzuwirken. Um jedoch die Mitarbeiter zu entlasten, das weitere Wachstum abzudecken und dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, will Würth den Automatisierungsgrad in der Logistik erhöhen.
Der Aufgabe, den bestehenden manuellen Handhabungsprozess intelligent zu automatisieren, stellte sich die Firma J. Schmalz. Für das Umsetzen unterschiedlich großer Kartons verschiedenen Gewichts eignet sich deren BinPicking-Greifer ‚SBPG‘. Dieser Greifer ist ausreichend lang, um in die Kisten einzutauchen, und leicht genug, um die Traglast kleinerer Roboter nicht allzu sehr zu reduzieren. So kann ein raumsparender Cobot von Universal Robots den Greifer führen, während das ‚Vision Eco-System for Schmalz VE4S‘ das Sehen übernimmt. Indem Schmalz auf Standardkomponenten aus dem Unternehmensbereich Robotik und Vision zurückgreift, erhält Würth eine wirtschaftliche Lösung für weniger als 100.000 Euro, die sich aufgrund der plug-and-play-fähigen Systeme ohne großen Engineering-Aufwand schnell implementieren lässt.
Zwei Details waren besonders herausfordernd: zum einen das Picken aus der Palette und das enge Setzen der Pakete in die Kisten trotz hoher Varianz, zum anderen das Erkennen einer Zwischenlage mit unbekanntem Aufdruck. Erschwerend kommt hinzu, dass das Design der Zwischenlagen dem der Schachteln ähneln kann. Somit war der einzige Ansatz, der prozesssicher funktioniert hat, der Einsatz Künstlicher Intelligenz. Das definierte Setzmuster realisierte Schmalz mit einer werkstückspezifischen Programmierung: Gestartet wurde mit einem begrenzten Teilespektrum, das die erste Zelle zu 100 % auslastet. In Folge muss die Pick-Leistung der Folgezellen optimiert und das Teilespektrum vergrößert werden, um weitere Artikel automatisiert einlagern zu können.
Andere Herausforderungen, die durch die engen Platzverhältnisse am Einsatzort und die zusätzliche Aufgabe, die leeren Behälter von einem Kistenband zu holen, entstanden, waren verhältnismäßig einfach zu erfüllen: Ein Laserscanner macht einen Sicherheitszaun überflüssig und sorgt somit für eine schlanke Zelle. Sobald sich eine Person nähert, verringert der kollaborative Roboter seine Geschwindigkeit und arbeitet mit reduzierten Kräften sicher weiter.
Um die unterschiedlichen Greifaufgaben zu erledigen, kann der Cobot selbstständig die Sauger des BinPicking-Greifers SBPG sowie – dank Schnellwechselmodul – den ganzen Greifer tauschen. Dazu befindet sich ein Lastaufnehmer immer am Roboterarm, während der andere im Greiferbahnhof wartet. Ist beispielsweise eine Kiste zu bewegen, holt sich der Cobot den dafür konzipierten ‚PXT‘-Greifer, der dank der standardisierten Anbindung und Kommunikation direkt einsatzbereit ist. Dem SBPG stehen drei Sauger zur Verfügung, sodass der Roboter jede Kartongröße sicher handhaben kann. Das benötigte Vakuum stellt ein pneumatischer Vakuum-Erzeuger bereit. Über die Bedienoberfläche einer von Schmalz implementierten Software geben die Mitarbeitenden den aktuellen Auftrag ein. Die Software kommuniziert mit der Kamera, dem Cobot sowie dem Sicherheitslaserscanner und passt nach der Eingabe die Robotersteuerung und die Kamera an die Aufgabe an. Über die Software steuert Würth zudem das gesamte Auftragsmanagement der Roboterzelle. Hierzu gehören zum Beispiel Features wie die Zielbehälterkontrolle, bei der die Kamera prüft, ob der bereitgestellte KLT wirklich leer ist, das Erkennen und Entnehmen der Zwischenlagen aus der Quellkiste und der Kollisionscheck. Hierbei berechnet die Software die Wegpunkte, die der Roboter anfährt, und checkt mithilfe des digitalen Zwillings, ob es zu Kollisionen kommt. Ist dies der Fall, umgeht sie die Hindernisse und legt neue Wegpunkte fest.
Der kollaborative Roboter ist seit Ende Dezember 2021 im Vertriebszentrum VZ West in Betrieb. Im Arbeitsalltag mit dem Cobot fahren die Mitarbeitenden mit dem Hubwagen eine Europalette mit Schachteln in den vorgesehenen Bereich. Die Kartons sind zwischen 100 und 250 mm lang, 90 bis 100 mm hoch und 90 mm breit. Den KLT-Zielbehälter holt sich der Roboter selbst von einem Förderband. Die Roboterzelle füllt so viele KLT-Behälter, bis die Europalette geleert ist. Beim Abschieben auf die Fördertechnik werden die Behälter gescannt und im SAP-System verbucht.