Flexibel, wandlungsfähig, dynamisch und digital – das soll die Produktionstechnik von morgen alles sein. Das Forschungsprojekt Software-defined Manufacturing soll diese Vision für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie in die Realität überführen.
In Zeiten hochvolatiler Märkte und großer Unsicherheit in den Zulieferketten sind Flexibilität und Wandlungs-fähigkeit entscheidende Erfolgsfaktoren für die produzierende Industrie. Seit Jahrzehnten wird hinsichtlich dieser Kenngrößen optimiert und es werden Lösungen zur vollautomatischen Adaption entwickelt. Dennoch sind die eingesetzten Produktionssysteme weiterhin relativ starr. Maschinen und Anlagen werden speziell auf ein zu fertigendes Produkt zugeschnitten. Hardware und Software sind fest miteinander gekoppelt, meist nicht anpassbar und werden als proprietäres Gesamtsystem vertrieben. Als erfolgreicher Gegenentwurf gilt die IT-Welt mit ihrer hohen Innovationskraft und Dynamik, die sich durch Anpassungsfähigkeit, schnelle Innovationszyklen und einer flexiblen Reaktion auf Kundenwünsche auszeichnet.
Des Forschungsprojekt Software-defined Manufacturing |
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Im Rahmen des Forschungsprojekts Software-defined Manufacturing für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie (SDM4FZI) erarbeiten insgesamt 28 Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie zwei Universitäten in den kommenden drei Jahren die für SDM erforderlichen Grundlagen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fördert das Vorhaben mit rund 35 Millionen Euro (www.sdm4fzi.de). Das Projekt wird von einem partnerübergreifenden Kernteam geleitet, welches sich auch der Verbreitung und dem Community-Gedanken der Idee verschrieben und zur Veröffentlichung dieses Artikels beigetragen hat. Hierzu zählen Michael Neubauer, Carsten Ellwein, Florian Frick vom ISW Uni Stuttgart, Dr. Johannes Fisel, Dr. David Kampert, Dr. Urs Leberle von Bosch, Marvin Carl May, Sebastian Behrendt vom wbk KIT, Ernst Esslinger von Homag, Dennis Pfeifer vom ISG Industrielle Steuerungstechnik und Dr. Peter Zahn von der Nagel Maschinen- und Werkzeugfabrik. |
Ein Quantensprung hinsichtlich Flexibilität und Wandlungsfähigkeit im Produktionsumfeld lässt sich allerdings nur durch einen Paradigmenwechsel herbeiführen, bei welchem nicht nur Technologien im Fokus stehen, sondern auch Methoden, Prozesse, Geschäftsmodelle und insbesondere das Mindset: es braucht ein Software-defined Manufacturing (SDM).
Im IT-Umfeld ist der Begriff Kontinuität omnipräsent, insbesondere in den Ausprägungen Continuous Integration, Continuous Delivery und Continuous Deployment – also der stetigen Integration neuer Softwarefragmente in den Product Stack, der kontinuierlichen Bereitstellung eines aktuellen Kompilats sowie der automatisierten Installation des aktuellsten Kompilats auf einem definierten Zielsystem. Das zuvor vorherrschende Prinzip der großen regelmäßigen Herausgabe neuer Produktversionen – sogenannter Releases – wird damit von einem Paradigma evolutionärer Softwareprodukte abgelöst, in der sich das Produkt gemeinsam mit den Bedürfnissen seiner Konsumenten kontinuierlich entwickelt. Die Kontinuität in Form der Continuous-X-Ansätze trägt somit entscheidend zu agilen Methoden bei und erlaubt es, frühzeitig auf sich verändernde Bedürfnisse des Marktes zu reagieren. Dies resultiert beispielsweise in schnellen und günstigen Softwareanpassungen aufgrund modularer Systeme, schlanken Prozessen und Routine in deren Durchführung.
Im Kontext von Software-defined Manufacturing (SDM) wird daher das Paradigma von Continuous-X auf die produzierende Industrie zu übertragen. Der daraus resultierende Ablauf ist in Form der beiden überlagerten Schleifen im Bild 1 dargestellt.
Die konventionelle Verwaltung von Anlagen und Produktionssystemen erfolgt typischerweise im Zusammenhang mit Projekten zu Umbauten oder Erweiterungen. Die Darstellung der blauen (äußeren) Schleife beschreibt, dass die Verwaltung von Anlagen und Produktionssystem in SDM-Logik kontinuierlich und mit dem Engineering zusammenhängend betrachtet wird.
Auf dem linken, blauen Flügel findet sich die softwaregestützte Planung und Entwicklung eines Produkts. Der rechte, blaue Flügel bildet das reale System ab und beinhaltet dessen Realisierung, Inbetriebnahme und Betrieb. Im Kreuzungspunkt dieser beiden Flügel findet von links nach rechts der Übergang in die Realisierung und von rechts nach links die Systemanpassungen statt. Bei diesem, soweit bekannten und üblicherweise verwendeten Durchlauf durch die agile Produktentwicklung und Produktion zeigt sich bereits in der Art der Darstellung, dass Kontinuität in Form der reinen Durchgängigkeit und Wandlungsfähigkeit durch die Rückkopplung des Systems in die Arbeit an eben diesem sichergestellt ist.
Um dem Vorbild der Softwareentwicklung in Gänze zu folgen, fehlt jedoch die Möglichkeit agil auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren. An dieser Stelle lassen sich die Methoden aus der IT nicht direkt auf die industrielle Produktion übertragen. Der Aufbau und Betrieb einer Fabrik ist wesentlich komplexer und erststreckt sich über ein großes Zuliefernetzwerk mit einer Vielzahl an beteiligten Unternehmen. Um trotz der hier vorhandenen Trägheit des Systems die IT-Methoden nutzen zu können, erweitert der SDM-Ansatz die realen Systeme um virtuelle. Daraus resultieren entsprechend abgewandelte Prozesse. Deren Realisierung erlaubt die Erweiterung des Ablaufs um die zweite, innere, graue Schleife. Links, parallel zum softwaregestützten Engineering auf dem blauen Pfad, unterstützen auf dem grauen Pfad neue Methoden das Engineering nicht länger nur, sondern treiben es eigenständig und leiten, basierend auf Erkenntnissen aus vorangegangenen Durchläufen, selbstständig neue Planungen, Modell- und Softwaregenerationen (zum Beispiel zur Produktionssteuerung) ab. Auf der rechten Seite werden das reale System und ein virtuelles Abbild um den grauen zweiten Pfad ergänzt. Initial erstellte Modelle, Pläne und Softwarefragmente, wie auch darauffolgende Generationen der evolutionären Entwicklung, müssen somit nicht im realen System getestet, sondern können simulativ am digitalen Zwilling erprobt werden um zielgerichtete Verbesserungen vorzunehmen und diese angemessen validieren zu können.
In der Überlagerung beider Schleifen, an deren Kreuzungspunkte der Durchlauf nicht nur von rechts nach links, sondern ebenfalls von blau nach grau und umgekehrt gewechselt werden kann, ergeben sich so viele völlig unterschiedliche Möglichkeiten einen Durchlauf zu realisieren. Diese Flexibilität und die sich daraus ergebende Agilität erlaubt es nun den Gedanken von Continuous X in seiner vollen Breite auf die produzierende Industrie zu übertragen; beispielsweise in den Ausprägungen Continuous Engineering, Continuous Simulation, Continuous Monitoring und Continuous Improvement.