Interview mit Ralf Bühler, Conrad

Kuratiertes Marktplatzmodell für die Industrie

12. September 2022, 8:57 Uhr | Andrea Gillhuber
Ralf Bühler, CEO von Conrad Electronic
Ralf Bühler, CEO von Conrad Electronic
© Conrad Electronic

Seit knapp 100 Jahren hat Conrad Electronic das Ziel, die technischen Probleme seiner Kunden zu lösen. CEO Ralf Bühler spricht über sich verändernde Marktanforderungen, digitale Marktplätze und wie man sich als Distributor der Herausforderung von unsicheren Lieferketten stellt.

Distributoren sind schon lange keine „Teileschieber“ mehr, sondern etablieren sich als Systempartner – sei es in der Entwicklung, Projektarbeit oder als verlässlicher Partner entlang der Lieferkette. Welche Strategie verfolgt Conrad Electronic in diesem Zusammenhang?

Conrad Electronic sieht sich seit jeher nicht nur als Händler, sondern hatte in seinen knapp 100 Jahren Firmengeschichte schon immer den Anspruch, seinen Kund*innen echten Mehrwert zu bieten. Diese Überzeugung prägte bereits unseren Gründer Max Conrad, der als einer der ersten Anbieter in Deutschland Radiobauteile verkauft und damit in den 20-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Menschen dieses innovative mediale Tor zur Welt eröffnet hat. 1937 schiebt sein Sohn Werner die nächste technische Revolution in deutschen Haushalten mit an und präsentiert auf der Funkausstellung einen Fernsehbaukasten inklusive Handbuch mit dem Titel ‚Fernsehen von A bis Z‘. Damals wie heute haben wir das Ohr nah an unseren Kund*innen, gestalten Trends und agieren mit unserer Sourcing Platform als innovativer Problemlöser. Unser Fokus liegt darauf, als verlässlicher Partner zu agieren und unseren Geschäftskunden die Beschaffung ihres täglichen technischen Bedarfs zu vereinfachen. Diesem Anspruch tragen wir mit unserem Plattformansatz Rechnung, der durch flexible Skalierbarkeit entsprechend der Kundenbedürfnisse überzeugt.

Was zeichnet eine umfassende Plattformökonomie aus und welche Vorteile haben Unternehmen davon?

Zunächst geht es darum, Geschäftskunden mithilfe der Conrad Sourcing Platform ein möglichst umfassendes Sortiment für die Deckung ihres technischen Bedarfs zur Verfügung zu stellen. Aktuell stehen hierfür auf der Plattform über 7 Millionen Produktangebote bereit – sei es im Rahmen des Conrad-eigenen Sortiments oder über das Angebot unserer Partner auf dem Conrad Marketplace. Ergänzt wird dieses Angebot durch maßgeschneiderte Serviceleistungen. Ganz neu ist unser Mietservice für Drucker, den wir gemeinsam mit unserem Partner Miete24 realisieren, und damit innerhalb des Mietzeitraumes ein Rundum-Sorglospaket rund ums Drucken anbieten. Auch unser neues Direktimport-Modell wird von Geschäftskunden gut angenommen. Mit ihm ermöglichen wir die einfache Umsetzung von Großvolumengeschäften direkt aus Asien. Koordiniert durch eine zentrale Conrad Ansprechperson können außerdem kundenspezifische Produktanpassungen oder Produktentwicklungen in größeren Stückzahlen realisiert werden.

Wie unterscheiden sich die Kundenanforderungen von KMUs und Konzernen und wie schaffen Sie es, alle Belange zu berücksichtigen?

Wir investieren viel Zeit, um unsere Geschäftskunden und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Auf dieser Grundlage schaffen wir Lösungen, die den Beschaffungsprozess so reibungslos wie möglich gestalten. Dementsprechend bieten wir spezielle B2B-Services wie individuelle Angebotsanfragen, Termin- und Abrufaufträge oder unterschiedliche Zahlungsmethoden, um Unternehmen aller Größen das für sie passende Angebot zu bieten. Und natürlich spielt das Thema E-Procurement in der heutigen Zeit eine immer größere Rolle. Unter Omnichannel Access verstehen wir bei Conrad das Ziel, jedem Geschäftskunden die für ihn passende digitale Anbindung an unsere Plattform zu ermöglichen. Dementsprechend bieten wir kleinen und mittelständischen Unternehmen, Großbetrieben und Konzernen unterschiedliche E-Procurement-Lösungen an: Kleinunternehmen können nach wie vor ganz klassisch über unseren Online-Shop einkaufen – mit speziellen Optionen für Geschäftskunden natürlich. Und Unternehmen mit einem eigenen Warenwirtschaftssystem können unser Sortiment entweder über EDI- oder API-Schnittstellen in ihr bestehendes Bestell- bzw. ERP-System integrieren oder E-Kataloge nutzen. Betriebe mit eigenem Bestellsystem beispielsweise können jederzeit auf unser Sortiment über OCI/Punchout zugreifen, ohne vorher den Produktkatalog in ihr System importieren zu müssen. Auf Kundenseite bestehende Kostenstellenstrukturen und Einkaufsrichtlinien werden dabei berücksichtigt. Die Digitalisierung der Customer Journey unserer Kund*innen unterstützen wir durch modulare Lösungen: Es können Teile oder auch die gesamte Auftragskommunikation durch Informationsaustausch per EDI digitalisiert oder E-Kataloge durch Updates mithilfe von API-Schnittstellen aktualisiert werden. Unsere Kund*innen können sich also ihr ideales Set zusammenstellen und haben dabei nach wie vor die Kontrolle über ihren gesamten Prozess.

Deutschland ist geprägt von KMUs. Doch haben vor allem kleinere Unternehmen häufig Vorbehalte, auf Distributoren zuzugehen. Wie interessant sind für Sie KMUs?

Auch für diese Kundengruppe haben wir die passenden Lösungen im Portfolio. Denn in einer sich immer schneller drehenden digitalen Welt wird es auch für KMUs immer wichtiger, sich über die Verschlankung ihrer Beschaffungsprozesse Gedanken zu machen. Studien zeigen, dass gerade beim Einkauf von C-Teilen die für den Einkaufsprozess anfallenden Kosten den tatsächlichen Warenwert häufig übersteigen. E-Procurement ist das ideale Tool, um Zeit und Geld bei der Beschaffung zu sparen. Vor allem dann, wenn ein Unternehmen mehrere Mitarbeiter*innen hat, die für sich und ihre Abteilung einkaufen sollen, der Chef aber weiterhin die Kontrolle behalten möchte. Unsere Lösung Conrad Smart Procure ist eine einfach zu nutzende E-Procurement-Lösung für KMUs ohne eigenes ERP-System. Sie funktioniert browserbasiert und läuft auf jedem Endgerät. Führungskräfte können mit Conrad Smart Procure ihren Mitarbeitenden Budgets zuweisen, das Sortiment oder spezielle Produkte definieren, individuelle Freigaben erteilen und Auswertungen vornehmen. On top können unsere E-Procurement-Kunden unsere Single-Creditor-Lösung nutzen. Und das wiederum nimmt der Buchhaltung bei der Rechnungsverwaltung jede Menge Arbeit ab: Geschäftskunden erhalten nämlich dann alle Rechnungen direkt von Conrad, gleichgültig wie viele Bestellung bei unterschiedlichen Partnern auf dem Conrad Marketplace ihre Bestellung umfasst.

Conrad Electronic hat gerade durch seine Stores einen hohen Bekanntheitsgrad. Vor kurzem haben Sie bekannt gegeben, viele Filialen zu schließen. Hat das Geschäftsmodell ausgedient?

Im B2C-Bereich gibt es ganz eindeutig die Entwicklung, dass Privatkunden vermehrt online einkaufen. Dieser Trend hat sich durch Corona noch einmal verstärkt und wir bei Conrad haben entsprechend reagiert. Im Geschäftskundenbereich sehen wir den stationären Handel aber nach wie vor als ideale Ergänzung zum Online-Handel. Deshalb haben wir im Sommer 2020 mit unserem Conrad Profistore in Hürth bei Köln unsere erste B2B-Filiale eröffnet und sind derzeit auf der Suche nach weiteren Standorten. Unsere Geschäftskunden schätzen die sofortige Verfügbarkeit von Produkten inklusive 24h-Abholstation sowie die Möglichkeit, Technik vor Ort direkt auszuprobieren. Vor allem, wenn es sich um hochpreisige Produkte handelt wie etwa eine Industriedrohne. Vor Ort gibt es außerdem die Möglichkeit, kleinere Reparaturen elektronischer Art vorzunehmen, indem wir das hierfür erforderliche Equipment in der Conrad Werkstatt bereitstellen. Eine weitere Besonderheit unseres Profistores: Bei Zeitknappheit kommen wir direkt zum Einsatzort, um dringend benötigte Teile zu liefern.

Wie hat E-Commerce den Handel verändert?

Auch im B2B-Sektor sind digitale Marktplätze immer mehr auf dem Vormarsch. Im Bereich Technik und Elektronik gehörte Conrad zu den ersten Händlern, die diesen Trend erkannt haben. Dementsprechend haben wir bereits 2017 den Conrad Marketplace gelauncht. Im Gegensatz zu vielen anderen Marktplatz-Anbietern setzen wir bei Conrad aber trotz aller Möglichkeiten, die Digitalisierung und E-Commerce bieten, auch weiterhin auf den Faktor Mensch. Wir sind davon überzeugt, dass partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe immer auch ein reales Gegenüber erfordert. Unseren Geschäftskunden bieten wir persönliche Betreuung im Key Account Management und Inside Sales sowie technische Kundenberatung an. Und auch unsere Marktplatz-Partner sind für uns mehr als einfach nur Seller: Um neuen Marktplatz-Partnern den Einstieg zu erleichtern, stehen ihnen beim Onboarding und darüber hinaus persönliche Ansprechpersonen zur Verfügung, die bei Fragen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und wir bieten auch unseren Marktplatz-Partnern umfassende Services wie etwa ein detailliertes Reporting mit den wichtigsten Leistungskennzahlen zur Performance ihrer Produkte. Ganz ohne primäre Marketingkosten können sich Hersteller und Distributoren mithilfe unseres Marktplatzes einfach und schnell neue Absatzkanäle erschließen, behalten aber trotzdem jederzeit und vollumfänglich die Sortiments- und Preishoheit.

Seit rund fünf Jahren bietet Conrad Electronic den B2B-Marktplatz an. Welches Ziel verfolgen Sie damit? Mit welchen Erwartungen sind Sie gestartet und wie sieht es damit jetzt, fünf Jahre später, aus?

Vor der Einführung des Conrad Marketplace im Jahr 2017 haben wir auf conrad.de ein rund 800.000 Artikel umfassendes Sortiment angeboten. Fünf Jahre später sind wir bereits bei über 7 Millionen Produktangeboten von mehr als 650 Herstellern und Distributoren, darunter namhafte Partner wie One4Business, Hyrican und die Blumenbecker Gruppe. Eine umfangreiche Auswahl ist für den Erfolg eines Marktplatzes unserer Erfahrung nach aber nicht alles; gerade im B2B-Bereich zählt auch die Produktqualität. Wir haben uns deshalb von Anfang an ganz bewusst für ein kuratiertes Marktplatzmodell entschieden. Wir achten also darauf, dass das Sortiment unserer Seller zum von uns definierten Bereich des technischen Bedarfs passt. Gleichzeitig lassen wir ausschließlich geprüfte Hersteller und Distributoren zu, um auch in diesem Punkt den Ansprüchen unserer Kund*innen gerecht zu werden.

Wie wird sich der Marketplace weiterentwickeln?

Unser Ziel ist es, Europas führende Beschaffungsplattform für technischen Bedarf zu werden. Dementsprechend ist derzeit die Internationalisierung für uns ein großes Thema. Seit 2021 sind wir mit einem eigenen Marktplatz in Österreich aktiv und haben im Juli 2022 unseren Marketplace in den Niederlanden gelauncht. Weitere Länder werden in den nächsten Monaten folgen und natürlich haben wir im Zuge dessen auch die Möglichkeiten der Cross-Border-Beschaffung im Blick, um unseren Sellern eine noch größere Kundengruppe zu erschließen und Geschäftskunden den reibungslosen Einkauf von Waren über Landesgrenzen hinweg zu ermöglichen.

Die Automatisierungstechnik ist eine der wichtigsten Branchen in Deutschland. Seit einiger Zeit sprechen Sie die Branche gezielt an. Wie können Sie die Automatisierer unterstützen? Welche Services und Lösungen bieten Sie hier an?

Unsere Auswahl zur Deckung des täglichen technischen Bedarfs in den Bereichen Automatisierungstechnik und Pneumatik ist riesig – angefangen bei Sensoren über Steckverbinder bis hin zu Antriebstechnik und Stromversorgung. Insgesamt stehen in diesem Bereich mehr als 900.000 Produktangebote zur Verfügung. Darüber hinaus bieten wir maßgeschneiderte Dienstleistungen an, zum Beispiel Kalibrierservice, PCB-Platinen-Service, 3D-Online-Druckservice oder Kabelmeterservice für metergenaue Kabelbestellungen. Zudem haben wir umfangreiche Ratgeber zum Thema Automation und Pneumatik zusammengestellt. Und wir bündeln unser Wissen außerdem in der Themenwelt Automatisierung. Dort empfehlen wir spezielle Automatisierungsprodukte und beraten zu Anwenderbeispielen wie Feld- und Prozesstechnik, Schaltschrank- und Sondermaschinenbau oder Digitalisierung. Auch Zukunftsthemen wie Edge Computing und Machine Learning, Fernwartung und Industrial Ethernet, Modernisierung und Anlagenerweiterung, dezentrale Automatisierung oder Robotics rücken wir hier in den Fokus.

Welche Trends sehen Sie in Zukunft auf die Automatisierung zukommen und wie möchten Sie dabei unterstützen?

Definitiv wird KI immer wichtiger. In der Beschaffung ist, wie bereits beschrieben, E-Procurement auf dem Vormarsch, um Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten. Aber auch im Anlagenbau gewinnt KI an Bedeutung, da die Zusammenhänge in modernen Fertigungsanlagen immer komplexer werden. Hier sorgt Machine Learning für eine schnellere Analyse und Optimierung. Gerade die großen Datenmengen sind anders nicht mehr zu handhaben. Die Komponenten müssen also intelligent miteinander kommunizieren können. Zum Teil werden die Daten bereits auf den Komponenten selbst verarbeitet und durch Machine Learning ausgewertet. Dies verringert den Datenverkehr und verkürzt die Reaktionszeiten wesentlich. Auch mit Blick auf unser Sortiment richten wir uns an den Bedürfnissen unserer Kund*innen aus: In diesem Jahr ist unser Team unter anderem auf der Messreihe “all about automation” vertreten, wo derzeit vor allem das Thema Cobots stark nachgefragt wird. Wir hatten deshalb unter anderem Franka Emika am Stand, der zur neuen Generation von Cobots gehört und demnächst im Conrad Sortiment erhältlich sein wird. Weitere Kooperationen in diesem Bereich haben wir in Aussicht gestellt.

Mit die größten Herausforderungen für Automatisierer bzw. für Unternehmen generell sind unsichere Lieferketten. Wie können Sie hier unterstützen?

Distributoren mit ausreichend Lagerbestand können in diesen von Hersteller-Lieferengpässen geprägten Zeiten punkten. Unser Einkauf setzt alles daran, um gemeinsam mit unserem internationalen Lieferantennetzwerk und mit zusätzlichen Sicherheitsbeständen die Verfügbarkeit für unsere Kund*innen bestmöglich aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig bauen wir das Netzwerk unserer Partner auf dem Conrad Marketplace ständig aus, um eine noch größere Auswahl an Produkten bereithalten zu können. Dazu kommt die Möglichkeit, Rahmenverträge mit Laufzeiten zu vereinbaren, um bedarfsgerecht beliefert zu werden. Auf der Conrad Sourcing Platform können die Lagerbestände und Preise sowohl des Conrad-Sortiments als auch der Marktplatz-Anbieter sofort online eingesehen werden. Sollte der gewünschte Artikel nicht verfügbar sein, bieten wir zu vielen Produkten proaktiv Alternativen an. Außerdem gibt es unseren Beschaffungsservice: Im Bereich Lieferung national und international bestens vernetzt, übernimmt unser Expertenteam weltweit die zeitintensive Recherche stellvertretend für unsere Kund*innen.


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