nachgehakt! bei Prof. Dr. Peter Fromm

Regelrecht ausgebremst

14. März 2023, 7:05 Uhr | Andrea Gillhuber
Prof. Dr. Peter Fromm, Hochschule Darmstadt
Prof. Dr. Peter Fromm, Hochschule Darmstadt
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Die Embedded-Branche hat mit Bauteile- und Fachkräftemangel zu kämpfen. Letzteres ist mittlerweile das größere Problem, weiß Prof. Dr. Peter Fromm von der Hochschule Darmstadt. Im Interview erläutert er, was Logistikprobleme damit zu tun haben.

Wie würden Sie die aktuelle Lage der Embedded-Branche beurteilen?

Prof. Dr. Peter Fromm: Von einem ‚Back to normal‘ sind wir sicherlich noch etwas entfernt, aber die sehr guten Buchungszahlen der embedded world und der embedded world Conference zeigen, dass es brummt.

Sustainability ist dieses Jahr eines der Schlagwörter – hier spielt Embedded-Technologie eine starke Rolle. Wir wissen nicht genau, wie die Autos der Zukunft aussehen, aber viele werden sehr wahrscheinlich elektrisch fahren. Das gleiche gilt für das Heizen unserer Häuser und viele andere Bereiche – schlicht und ergreifend, weil elektrischer Strom aktuell die einzige Energieform ist, die wir nachhaltig erzeugen können. Intelligente Regelungstechnik, gepaart mit innovativen Machine-Learning-Algorithmen wird in allen Bereichen der Prozessindustrie, Smart Homes oder dem Transportsektor eine wichtigere Rolle spielen.

Eine Herausforderung bleibt die Verfügbarkeit von Bauteilen. Diese scheint sich nach den massiven Einbrüchen der letzten zwei Jahre etwas verbessert zu haben, aber z.B. ein einfacher Raspberry Pi liegt aktuell noch immer bei 200 Euro. Ein in der Maker Szene sehr beliebter PSOC 5 LP, der vor der Corona Krise etwas über 10 Euro gekostet hat, ist nur noch über Ebay für gut 200€ zu bekommen. Hier kommen unterschiedliche Aspekte zusammen: hohe Nachfrage, strategische Entscheidungen von Produzenten bezüglich Konsolidierung der Produktpaletten nach den Kaufeinbrüchen während Corona, Fertigungsschwierigkeiten, Lieferketten, internationale Embargos et cetera. Es gibt leider nicht den einen Knopf, den wir drücken können, damit der globale Motor wieder läuft.

Was ich insbesondere bei mittelständigen Firmen erkennen kann, ist eine hohe positive Kreativität, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Das fängt beim Überdenken von Lagerkapazitäten und ‚just in time production‘ an und endet beim Überarbeiten von Designs – anstelle schwer zu erhaltender Spezialchips werden etwa zunehmend FPGAs eingesetzt. Das erhöht zwar die Stückkosten, aber es reduziert es die Abhängigkeit von Einzellieferanten und fördert den hausinternen Know-How-Aufbau. ‚Design for Availability‘ könnte das neue Motto werden.

Stichwort Fachkräftemangel: Wie ist Ihre Einschätzung der Situation?

Prof. Dr. Peter Fromm: Neben Bauteileverfügbarkeit ist der Fachkräftemangel aus meiner Sicht die noch viel größere Herausforderung der Zukunft. Das spiegelt sich auch in den technischen Studiengängen wider: Insgesamt sind die Studierendenzahlen in technischen Studiengängen rückläufig. Im Vergleich zu meinem Start als Professor vor knapp 15 Jahren haben sich die Absolventenzahlen in den einschlägigen Ingenieursstudiengängen mehr als halbiert. Es fangen deutlich weniger Studierende an und gleichzeitig brechen deutlich mehr das Studium ab.

In Darmstadt haben wir einen erfolgreichen englischsprachigen Masterstudiengang Embedded Systems, der Fokus liegt in den von der Industrie nachgefragten Bereichen Systems- und Embedded-Software-Engineering inklusive FPGA-Technologien. Unsere Studierenden akquirieren wir mittlerweile mit sehr viel Erfolg weltweit. Um das in Zahlen auszudrücken: Für unseren internationalen Master haben wir pro Jahr circa 1.500 Bewerber:innen, im deutschsprachigen Bachelor weniger als 100. Allerdings haben wir durchaus ähnliche Logistikprobleme wie bei den Bauteilen – immer neue Regelwerke und formale Hürden machen den Studienstandort Deutschland nicht unbedingt attraktiver, obwohl die im Ausland wahrgenommene hohe Qualität unseres Ausbildungssystems und auch der Verzicht auf Studiengebühren gepaart mit einer guten Jobperspektive eine perfekte Ausgangslage für die Fachkräftegewinnung bietet.

In Darmstadt haben wir einen erfolgreichen englischsprachigen Masterstudiengang Embedded Systems, der Fokus liegt in den von der Industrie nachgefragten Bereichen Systems- und Embedded-Software-Engineering inklusive FPGA-Technologien. Unsere Studierenden akquirieren wir mittlerweile mit sehr viel Erfolg weltweit. Allerdings haben wir hier durchaus ähnliche Logistikprobleme wie bei den Bauteilen – immer neue Regelwerke und formale Hürden machen den Studienstandort Deutschland nicht unbedingt attraktiverAber um das in Zahlen auszudrücken: Für unseren internationalen Master haben wir pro Jahr circa 1.500 Bewerber:innen, im deutschsprachigen Bachelor mittlerweile weniger als 100.

Welche Rolle spielt der Trend Open Source in der Embedded-Branche?

Prof. Dr. Peter Fromm: Der Mehrwert eines Embedded Systems entsteht primär in der Applikationssoftware. Gerade KMUs können sich keine Entwicklungsabteilung leisten, die viel Zeit mit der Entwicklung von Treibern oder anderen Basiskomponenten verbringt. Gleichzeitig nehmen die Fähigkeiten von Embedded Systemen aufgrund immer größerer Rechenpower und Speicherkapazitäten zu, Künstliche Intelligenz ist hier ein prominentes Beispiel. Es wird keiner auf die Idee kommen, einen komplettes KI-Framework selbst zu entwickeln. Das heißt, die Bedeutung von Open-Source-Lösungen wird weiterhin zunehmen.

Wie verträgt sich Safety und Security mit Open Source?

Prof. Dr. Peter Fromm: Da kommen wir leider an die Grenzen von Open-Source-Lösungen – die Haftungsfrage. Hier müssen wir die Bereiche Safety und Security unterschiedlich betrachten: Baue ich als Hersteller eine Fremdkomponente in eine Safety-Architektur ein, muss diese entweder qualifiziert sein oder ich muss diese selbst qualifizieren. Ist dies bei einem einfachen MCAL-Treiber vielleicht noch mittels Code-Review und Tests möglich, wird es bei komplexen Systemen wie einem Linux-Betriebssystem schwierig bis praktisch unmöglich. In den unteren Safety-Leveln kann ich je nach Norm vielleicht noch die Karte ‚proven in use‘ ziehen, aber ob diese in jedem Fall sticht? Einzelne Safety-Normen wie die ISO 25119 ermöglichen es, die Zuverlässigkeit von Hard- und Software gegenzurechnen. Sprich: Habe ich eine sehr sichere Hardware mit sehr guter Diagnostik, kann ich mir auch eine QM-Software ‚leisten‘. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob ein solches Vorgehen technisch sinnvoll ist.

Anders bei Security: Hier ist schon aufgrund der Komplexität die Entwicklung einer eigenen Lösung wirtschaftlich nicht sinnvoll und technisch für viele Firmen nicht machbar. Open-Source-Lösungen haben hier sicherlich den Charme, dass vielen Augen nach Schwachstellen suchen, diese so schnell publik werden und entsprechend reagiert werden kann.

Welche technologischen Trends werden Ihrer Meinung nach die embedded world in diesem Jahr prägen?

Prof. Dr. Peter Fromm: Das Thema embedded KI wird sicherlich immer noch ein großes Thema sein, insbesondere das Rechnen von KI-Algorithmen in der Edge oder direkt im Embedded-Controller. Darüber hinaus könnte ich mir vorstellen, dass die Frage ‚Design for Availability‘ zunehmend an Bedeutung gewinnen wird – auch vor dem Eindruck der aktuellen und zukünftigen Krisenherde auf unserem Planeten. Wie eingangs gesagt: Von einem ‚Back to normal‘ sind wir leider noch etwas entfernt, aber in jeder Krise liegen viele Chancen!

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