Wo liegen die größten Stolpersteine bei den Digitalisierungsbemühungen von Fertigungsunternehmen? Dieter Meuser, CEO Digital Industrial Solutions bei German Edge Cloud, bezieht Stellung.
Herr Meuser, der Weg zum datengetriebenen Geschäftsmodell in der Fertigung wird oft als ein „Weg über steiniges Neuland“ beschrieben – wo verorten Sie die größten ‚Steine‘ auf diesem Weg?
Dieter Meuser: Vor allem bei der Datenqualität dürfen keine Kompromisse gemacht werden. Doch das ist viel leichter gesagt als getan! Zuerst müssen alle Maschinen vernetzt werden – wir haben aber meist noch keine durchgängigen Standards; selbst bei relativ neuen Maschinen mit Schnittstelle für OPC UA unterscheiden sich oft noch die Versionen. Der nächste Schritt entscheidet über die Nutzbarkeit der Datenmasse: Anwender müssen die Daten in Kontext setzen, um sie zu verstehen. Dies braucht viel Domänenwissen über Automatisierung und Fertigungsprozesse.
In einer Fabrik wie dem Rittal Werk RKS in Haiger etwa kommen schnell über 300.000 Datenpunkte zusammen, die in Korrelation zu den Stamm- und Bewegungsdaten des PLM- und ERP-Systems der Fabrik zu setzen sind. Das heißt, man muss erkennen, welcher Sensor welche Daten an welcher Maschine misst und welche Rückschlüsse daraus zum Fertigungsprozess gezogen werden können. Die gute Nachricht: Wer das geschafft hat, kann schnell Nutzen aus den Daten ziehen, beispielsweise durch einen vollständigen virtuellen Überblick über alle Prozesse in nahezu Echtzeit. Auf dieser Basis können die Fertigungs-Spezialisten Fehler finden und die Prozesse optimieren. Das haben wir beispielsweise im Rittal Werk Haiger umgesetzt.
Daraus ergeben sich ‚Hausaufgaben‘ für Fertigungsunternehmen, um ihre eigene Smart Factory zu realisieren.
In der Pflicht sind nicht nur die Fertigungsunternehmen, sondern auch ihre Partner im Industrie-Umfeld. Gemeinsam müssen sie mit ihrer Fertigungs-Erfahrung die Welt der Automatisierung mit jener der IIoT und IT verbinden. Und zwar auf der Daten-Ebene der verschiedenen Ökosysteme sowie auf der menschlichen Ebene. Dabei helfen nicht nur Partner wie die Industriesparte der German Edge Cloud mit ihren Wurzeln in beiden industriellen Domänen. Maschinen- sowie der Steuerungs- und Schaltanlagenbauer können ebenso zu einem schnelleren Start bei der Vernetzung beitragen.
Ein Beispiel: Die Software unserer Schwesterfirma Eplan ist Standard für das Engineering der elektrischen Komponenten von Maschinen und sorgt für hohe Datenqualität beim mit Rittal Systemtechnik umgesetzten Steuerungs- und Schaltanlagenbau. So erhält der Fabrikbetreiber zu den Maschinen auf seinem Shopfloor im Idealfall einen digitalen Zwilling mit vollständigen Informationen zu allen elektrischen Komponenten seiner Anlagen. Diese Daten verhelfen dann der GEC mit ihrem ‚Oncite Digital Production System‘ zu mehr Tempo bei der Vernetzung und Daten-Kontextualisierung.
Wie sieht die Zukunft der deutschen Fertigungsindustrie in Sachen Smart Factory perspektivisch aus?
Grundsätzlich kommt es darauf an, die digitale Transformation schnell in die Breite zu bringen, insbesondere bei mittelständischen Zulieferern als Rückgrat für die digitalen Lieferketten der Automobilindustrie. Dies ist unser Antrieb als Gründungsmitglied und Beirat beim offenen Automotive-Datenökosystem Catena-X.
Innerhalb der Fabrik steht jetzt für viele Unternehmen die nächste Phase Richtung ‚Smart‘ an: der Übergang von der eher starren ‚Execution‘ ihrer Prozesse hin zu mehr Agilität und IIoT-gestützter Regelungsfunktion – also Manufacturing Operations Management in nahezu Echtzeit. Dafür müssen Shopfloor-nahe Stamm- und Bewegungsdaten valide mit Sensordaten ergänzt werden. Ein Hindernis ist häufig der Mangel an Flexibilität vieler bestehender MES/PCS/Scada-Anwendungen durch ihre monolithische Software-Architektur. Software, die mit modernen Microservices das Industrial IoT nutzt, führt schneller und günstiger zum Ziel.
Wie kann GEC Firmen bei diesem Prozess unterstützen?
Um agiles Produktionsmanagement zu gewährleisten, müssen die Fertigungsunternehmen Industrial IoT-Anwendungen mit bestehenden IT-Systemen wie PLM, ERP, MES und Scada koppeln. Zur Unterstützung haben wir unsere Cloud-nativen IIoT-Anwendungen mit ‚Best of Breed‘-Partnerprodukten in der ‚Oncite Industrial Suite‘ ergänzt und zum Gesamtsystem ‚Oncite Digital Production System (DPS)‘ aufgebaut., mit der ‚Oncite Factory Edge‘ als Infrastruktur-Option an Bord.
Mit Microservices ermöglichen wir so die ganze Bandbreite; von der Vernetzung der Anlagen über die Visualisierung von Prozessen oder Anwendungen wie Track&Trace bis zu umfassendem Produktionsmanagement. Der häufigste Fall ist die schrittweise Modernisierung einer Fertigung im Brownfield, gerade im Mittelstand. Daher ist es wichtig für die Unternehmen, dass die IIoT-Anwendungen mit Microservices auch parallel zu bestehenden IT/OT-Infrastrukturen eingesetzt und in verschiedenen Umgebungen betrieben werden können. Später folgt gegebenenfalls die stufenweise Migration der bereits existierenden monolithischen MES/PCS/Scada-Systeme auf modernere digitale Produktionsplattformen wie die ‚Oncite Industrial Suite‘ mit der passenden Infrastruktur der hochskalierbaren ‚Oncite Factory Edges‘.