Klassischerweise werden die physischen Zusammenhänge und die steuerungs- und sicherheitsrelevanten Logiken von Geräten getrennt voneinander abgebildet. Doch warum Funktionen nochmal neutral nachzeichnen, wenn das Piping & Instrumentation Diagram schon so viele Basisdaten enthält?
Die Steuerung einer Anlage ist hochkomplex. Sie fußt auf den Daten zu etlichen Geräten, deren Funktionen wie Kühlen, Pumpen, Öffnen und vieles mehr die gewünschten Prozesse ermöglichen. Doch damit die Geräte ihre Aufgaben zweckgemäß erfüllen, müssen die Automatisierer in der Lage sein, alle Zusammenhänge, Anforderungen und Regeln nachzuvollziehen. Nur so können sie den Leitsystem-Programmierern korrekte Vorgaben machen. Dabei ist neben zielgerichtetem Funktionieren auch die Anlagensicherheit essenziell. Zahlreiche Mechanismen müssen implementiert werden, die im Wartungs- oder Notfall ganze Anlagen oder Teile davon kontrolliert abschalten. Wie aber kommt man am effizientesten zu so existenziellen Daten?
Klassischerweise werden alle Geräte samt ihren physischen Zusammenhängen in den P&IDs (Piping & Instrumentation Diagram) der Prozessfachleute geplant und abgebildet. Automatisierungsprofis verwenden FBDs (Function Block Diagrams), um die steuerungs- und sicherheitsrelevanten Logiken sowie Signalpfade für die Leitsystem-Programmierung festzulegen. Doch warum Funktionen nochmal neutral nachzeichnen, wenn das P&ID schon so viele Basisdaten enthält? Mit ihrem grafischen Anlagenüberblick sind P&IDs quasi der Geburtsort der Automatisierung, sie zeigen das Zusammenspiel der Systeme allerdings nur vereinfacht. Ein FBD wiederum stellt neutral die Verarbeitung nur weniger Signale von und zu I/Os dar. Ihre Beziehungen zum Ganzen sind darin nicht ohne weiteres erkennbar.
Vor diesem Hintergrund haben Expertinnen und Experten der skandinavischen Offshore-Öl- und Gasindustrie schon vor vielen Jahren in ihrem norwegischen Standard Norsok das SCD (System Control Diagram) entwickelt und etabliert. Dieser Diagrammtyp kann FBDs sehr hilfreich ergänzen, teilweise sogar ersetzen. Er ist quasi ein auf alle steuerungsrelevanten Elemente heruntergebrochenes P&ID mit Fokus auf Automatisierung. Vom Sensor bis zum Aktor stellt ein SCD grafisch alle gegenseitigen Steuerungen und Verriegelungen übersichtlich und einheitlich dar. Der Fokus schafft Platz und erlaubt es, mehrere P&ID-Extrakte verständlich in einem SCD zu kombinieren.
Vereinzelt gibt es ähnliche Ansätze außerhalb des skandinavischen Raums, doch sie unterliegen keinem offiziellen Standard und sind längst nicht so verbreitet und integriert wie die SCDs in Nordeuropa. Die Vorteile der Verschmelzung von physischen und logischen Beziehungen liegen jedoch auf der Hand: „SCDs sind für uns nicht mehr wegzudenken. Als elementares Werkzeug zur Automations-Entwicklung im Dialog zwischen Automatisierern, Prozess- und Sicherheitsingenieuren dient es bis in den Anlagenbetrieb als die verlässliche Quelle, um die Steuerung der Anlage zu verstehen“, sagt Idar Pe Ingebrigtsen, Principle Engineer bei Equinor und bei der IEC Leiter eines in Kürze startenden Projekts, das die bisherige IEC-Norm PAS 63131 in die IEC 63131 zur SCD-Definition heben soll.
Über Kunden wie Equinor, Kongsberg und Haldor Topsoe, alle aus Skandinavien und im Öl- und Gassektor aktiv, ist der deutsche Softwareentwickler Aucotec auf dieses Format aufmerksam geworden und hat es in seine datenzentrierte Plattform Engineering Base (EB) übernommen. „SCDs lassen sich in EB nicht nur besonders einfach erstellen; sie erfordern zudem nicht die üblichen Datenübertragungen und Abgleiche mit anderen Systemen, was das Änderungsmanagement enorm erleichtert“, sagt Dr. Pouria Bigvand, leitender Produktmanager bei Aucotec. SCDs waren bislang separate Dokumente ohne Bezug zur Gesamtanlage. Anders bei EB.
Dort existiert jedes Objekt nur ein einziges Mal. Alle Kerndisziplinen des Engineerings greifen auf ein gemeinsames Datenmodell zu. Die diversen Fachleute reichern so Objekte und Funktionen nach und nach mit immer mehr Details an. Stets kann dabei jeder und jede Beteiligte den aktuellen Stand des digitalen Zwillings der (Teil-)Anlage sehen. Änderungen einer Disziplin sind unmittelbar in allen anderen nachvollziehbar. Die jeweils fachspezifischen Sichten auf die Planung enthalten eigene Repräsentanzen, speisen sich jedoch aus denselben Objekten. Das optimiert nicht nur das Änderungsmanagement, sondern gewährleistet auch, dass keine Änderung vergessen wird. Die gewonnene Datenqualität ist eine wichtige Säule im gesamten Projekt-Lifecycle.
Aus diesen Gründen ist Bigvand überzeugt, dass SCDs jedem Anlagenbauer und -Betreiber Vorteile bieten. Das Datenmodell von EB erlaube es, in einem SCD grundsätzlich für jedes P&ID eine umfassende steuerungslogische Grafik zu erstellen, um wirklich alle Anlagen-Zusammenhänge zu verdeutlichen. Direkt aus dem SCD übergibt EB die erarbeiteten Programmiervorgaben an die Leitsystemhersteller. Nachträgliche P&ID-Änderungen sind im SCD automatisch sichtbar, und auch die Spezifikationen oder Änderungen der Leitsystemprogrammierung sind – dank Import per AML – in EB verfügbar. All das sind Bausteine, die einen Digital Twin stets aktuell halten. FBDs dagegen werden ab einem bestimmten Projektstatus oft nicht mehr aktualisiert.
Ein weiteres Plus von EBs umfassender Kenntnis der physischen und logischen Verbindungen ist die Fähigkeit, auf Knopfdruck Cause-&-Effect-(C&E-)Tabellen auszugeben. Mit ihrer Hilfe lassen sich in der Inbetriebnahmephase die Festlegungen der Anlagenfunktionen auf Korrektheit prüfen. Sie zeigen, ob etwa ein Ventil geschlossen bleibt, weil es so definiert wurde, oder weil es falsch verdrahtet ist.
Ohne EB müssten für diese Tabellen – je Anlagenszenario – die P&IDs, FBDs oder SCDs und andere Unterlagen aus den beteiligten Engineering-Disziplinen, und damit oft aus verschiedenen Quellen, mühselig durchforstet und die Daten manuell eingetragen werden. Das bindet hochqualifizierte Fachleute mehrere Wochen, ohne Garantie auf Verlässlichkeit. EB dagegen holt die Daten für die C&E- oder Safety-Matrizen aus dem zentralen Modell und kann sie im Nu anzeigen. Da das Modell stets aktuell ist, sind alle Daten zu 100 Prozent konsistent. „Das kann kein anderes Engineering-System“, so Produktmanager Bigvand.