Mehr als 200 elektrische und hydraulische Achsen jederzeit von verschiedenen Steuerpulten aus im Blick, Gleichlauf und synchronisierte Bewegungen bei höchster Sicherheitsstufe:Wer dabei nur an Anlagen der Industrieautomation denkt, liegt daneben. Die Rede ist von der Antriebs- und Steuerungstechnik der Neuen Oper in Oslo.
Die Fassade aus weißem Marmor und norwegischem Granit schiebt sich in den Fjord und erweckt den Eindruck eines treibenden Eisbergs: Ein Drittel des 54 Meter hohen Gebäudes direkt am Osloer Hafen liegt unter der Wasseroberfläche. Auch die inneren Werte zeigen den Ehrgeiz der Planer: Auf drei Bühnen mit einer Bühnenfläche von insgesamt 8300 m2 ziehen Schauspieler, Musiker und das norwegische National-Ballett bis zu 2000 Zuschauer in ihren Bann. Allein im Großen Saal finden je nach Größe des variablen Orchestergrabens bis zu 1364 Zuschauer Platz. In einer fünfjährigen Projektlaufzeit installierte Rexroth die komplette Antriebs- und Steuerungstechnik inklusive dem Stahlbau für die Unter- und Obermaschinerie der drei Bühnen. Die Grundlage für die komplette Realisierung lieferten ebenfalls von Rexroth selbst entwickelte Simulationsprogramme für die Bühnentechnik. Sie ermöglichten bereits in einem frühen Stadium die Visualisierung der projektierten Automatisierungslösungen und die maßgeschneiderte Auslegung aller Antriebe.
Im Detail umfasste das Projekt „Neue Oper Oslo“ die komplette Automatisierung der Großen Bühne, des Schauspiels für 400 Zuschauer sowie einer Probebühne. Bei allen Bühnen gilt die Unterscheidung zwischen der Technik unterhalb der Bühne, der Untermaschinerie, und den technischen Einrichtungen oberhalb der Bühne, der Obermaschinerie. Als Leittechnik kommt auf den drei Bühnen jeweils die für diese Anwendungen konzipierte und in Zusammenarbeit mit Theaterfachleuten ständig weiter entwickelte Bühnensteuerung SYB2000 zum Einsatz.
Die Anforderungen an die Automatisierungstechnik, mit denen sich die Projektverantwortlichen in Oslo konfrontiert sahen, lassen sich durchaus mit industriellen Anwendungen messen. Hard- und Software der elektrischen und hydraulischen Antriebe sowie der Steuerungen müssen so zuverlässig sein wie in der kontinuierlichen Fertigungen. Die aus der Industrie bekannten Kennzahlen für Mean Time Between Failures (MTBF) sowie Mean Time To Repair (MTTR) gelten auch und gerade für die Bühnentechnik: Theateraufführungen sind immer live und der Ausfall eines Antriebes kann zum Abbruch einer Vorstellung führen. Um dies unter allen Umständen zu vermeiden, können die Rexroth-Servicetechniker im Bedarfsfall über die offenen Schnittstellen der Leittechnik auch per Fernwartung jeden Antrieb diagnostizieren und Parameter neu einstellen.
Stichwort Antriebstechnik: Das Operationsfenster für Antriebe in der Bühnentechnik ist generell extrem groß; je nach Inszenierung müssen sich tonnenschwere Bühnenpodien sehr schnell über große Hübe oder über die gesamte Vorstellungsdauer in „Schleichfahrt“ über Stunden hinweg extrem langsam nach oben oder unten bewegen. Über diese technischen Anforderungen hinaus, darf die Automatisierung vor allem eines nicht: durch Geräuschentwicklung den Kunstgenuss stören. Mit seinen über 200 elektrischen und hydraulischen Antrieben in der Obermaschinerie setzt das Opernhaus in Oslo einen neuen Maßstab in der Bühnenautomatisierung. In der Untermaschinerie der Hauptbühne arbeiten weitere rund 80 hydraulische Antriebe und eröffnen den Dramaturgen nahezu unbegrenzte Variationsmöglichkeiten der Bühnenverstellung: Vor den Augen der Zuschauer entstehen innerhalb von Sekunden dreidimensionale Bühnenlandschaften. Die Hauptbühne selbst besteht aus vier jeweils 16 m × 4 m großen Primärpodien. Zwei hydraulische Winden bewegen die bis zu 32 Tonnen schweren Primärpodien über acht Seile über einen Hub von 12,5 m mit bis zu 0,7 m/s. Ein Feinregelsystem gleicht Höhendifferenzen an den Ecken der Podien durch Seildehnung, Toleranzen der Seile oder Trommeln aus.
Die Primärpodien beinhalten zusätzlich vier 4 m × 4 m große Sekundärpodien und ergeben so eine schachbrettförmige Bühne. Je vier rollengeführte hochpräzise Hubstützen führen jedes Sekundärpodium. Der maximale Hub beträgt 2,5 m bei einer Geschwindigkeit von bis zu 0,3 m/s. Die separate Regelung der Hydraulik-Zylinder innerhalb der Stützen ermöglicht die Einstellung freier Winkel der Bühnenelemente und damit auch Schrägen und flächige dreidimensionale Bühnenformen. Besonders wichtig für Bewegungen während der Vorstellung: Mechanische Sicherheitsschranken an den Rändern der Unterseite lösen sofort aus, wenn Fremdkörper zwischen den einzelnen Podien eingeklemmt sind.