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Der Modellbau der Zwillinge

27. April 2023, 9:27 Uhr | Meinrad Happacher
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Digitale Zwillinge erfordern ein Umdenken: Physikalische Schnittstellen und Kommunikationsprotokolle verlieren an Bedeutung. Modell-basierte Datenschnittstellen zur Vernetzung verschiedener Zwillingskategorien innerhalb einer IoT-Anwendung sind die aktuelle Herausforderung.

Für Cloud-Betreiber sind digitale Zwillinge ein sehr bedeutender Baustein im Funktionsportfolio, der ein sehr großes Wachstumspotenzial mit hoher Kundenbindung bietet. Die in diesem Bereich führenden US-Unternehmen Amazon (AWS IoT TwinMaker), IBM (Digital Twin Exchange), Microsoft (Azure Digital Twin) und Oracle (IoT Digital Twin) sehen daher zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten für die virtuelle Darstellung physischer Objekte und Systeme. In erster Linie auf Grund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und des damit verbundenen Marktpotenzials. Schließlich lassen sich mit dieser Methodik digitale Modelle ganzer Umgebungen realisieren. Bei einer solchen Umgebung kann es sich um einzelne Antriebselemente, Fahrzeuge und Maschinen, Gebäude oder Produktionsprozesse, aber auch vollständige Fabriken, Betriebsgelände, komplexe Energieversorgungsnetze, Bahnstrecken, Sportstadien und sogar ganze Städte (Smart City) handeln. Auch noch sehr viel größere Verbundsysteme sind möglich. Daraus lässt sich ableiten, dass es auch mit Blick auf die jeweilige Anwendung unterschiedliche digitale Zwillinge gibt.

Gruppen von Zwillingsinstanzen

IBM hat das Zwillingsthema sehr früh aufgegriffen, verfügt daher bereits über umfangreiche Praxiserfahrungen und differenziert mit dem aktuellen Stand der Technik inzwischen vier verschiedene Zwillingskategorien:

  • Komponentenzwillinge/Teilzwillinge: Sie bilden die Grundeinheit - digitaler Zwilling für eine Entität - komplexer digitaler Zwillinge und repräsentieren in der Regel eine Funktionskomponente, wie beispielsweise den Elektromotor oder Frequenzumrichter einer Maschine.
  • Asset-Zwillinge: Ein Verbundsystem aus mindestens zwei Komponentenzwillingen, die miteinander interagieren, wie etwa die Funktionskomponenten eines Maschinenantriebsstrangs. Hier entstehen schon relativ große Datenmengen, mit denen sich die Interaktionen untersuchen und verwertbare Informationen gewinnen lassen.
  • System- oder Unit-Zwillinge: In dieser Integrationsstufe werden Asset-Zwillinge zu einem funktionierenden Gesamtsystem zusammengefügt, das sich beispielsweise als sternförmiger Graph darstellen lässt. Ein solcher digitaler Zwilling für eine Maschine spiegelt beispielsweise die Kommunikation und Interaktionen der Assets untereinander transparent wider und eignet sich grundsätzlich für automatisierte Optimierungsentscheidungen beziehungsweise kognitive Fähigkeiten.
  • Prozesszwillinge: Diese Kategorie bildet die Makroebene der Detaillierung für die Zusammenarbeit der Subsysteme, zum Beispiel für eine vollständige Produktionsanlage. Sprich: ein digitaler Zwilling für ein Szenario. In dieser Ebene lassen sich mit Hilfe eines digitalen Zwillings komplexe Fragestellungen beantworten: Sind alle Subsysteme synchronisiert? Haben alle Systeme die maximale Effizienz oder haben Verzögerungen im System Auswirkungen auf andere Systeme? Solche Szenario-Zwillinge helfen dabei, die Gesamteffektivität und Produktivität zu beeinflussen.

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Der Modellbau der Zwillinge
Die Datenschnittstellen einer IoT-Hardware für einen Komponentenzwilling sind mit einer Beschreibungssprache, wie der Digital Twin Definition Language (DTDL), modellierbar: (1) Ein JSON-Objekt dient als DTDL-Interface-Beschreibung. (2) Die „Telemetry“-Definition lässt sich über eine „Unit“-Eigenschaft mit einer semantischen Typannotation erweitern. (3) Im ausgangsseitigen IoT-Sensordatenstrom ist ein zum Modell passendes Datenobjekt enthalten. Das Ziel beim DTDL-Einsatz ist ein IoT-Daten-Plug-and-Play, um auch komplexe Projekte zu ermöglichen.
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In der Praxis lässt sich ein einzelnes physisches Objekt für mehrere Zwillingsvarianten nutzen. So verwendet der US-Autokonzern Ford für jedes produzierte Fahrzeug insgesamt sieben unterschiedliche digitale Zwillinge. Die Anwendungsbandbreite reicht dabei vom Fahrzeugdesign über die Produktion und den Betrieb bis zum Kundenerlebnis.

Im Umfeld der German Edge Cloud hat sich eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, die im Bereich der industriellen Fertigung die Digitalisierung mit einem Verbund aus drei Zwillingen voranbringen will: Ein Anlagenzwilling - also ein Systemzwilling - dient als Repository für alle technischen und elektrischen Daten, den Schalt- und Verdrahtungsplänen, Funktionsbeschreibungen zu Komponenten und zur gesamten Anlage selbst sowie möglichst hochwertigen 3D-Modellen. Als zweite Zwillingsvariante wird ein Produktzwilling verwendet. Er ermöglicht die Produktkonfiguration und wird von der Kundenanforderung bis zur Auslieferung genutzt. Er wird lange vor der eigentlichen Produktherstellung erzeugt und beinhaltet ebenfalls 3D-Modelle. Mit dieser Zwillingsinstanz können Vertriebspartner und Kunden die Produktfunktionen simulieren und austesten. Über diese 3D-Modelle lassen sich Form, Fit und Function (FFF) prüfen. Der dritte Vertreter im Bunde ist der Fertigungszwilling. Dieser Prozesszwilling unterstützt den Produkthersteller bei der Produktivitätsoptimierung, indem Sensordaten aus dem laufenden Fertigungsbetrieb mit Stammdaten verknüpft und ausgewertet werden.


  1. Der Modellbau der Zwillinge
  2. Geeignete Werkzeuge erforderlich

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