Durch Edge Computing kombiniert mit Safety und Security ändern sich die Anforderungen an die Automatisierung. Ein Trend ist, Automatisierungssysteme aus teilweise autarken Teilsystemen aufzubauen. So lassen sich komplexe Applikationen mit kooperierenden Robotern schnell umsetzen.
Bei der Vernetzung von Automatisierungsteilsystemen können Edge-Controller, angebunden über Publish-Subscribe (PubSub)-Methoden wie MQTT oder Data Distribution Service (DDS), klassische Feldbusse ersetzen. Solche einfach vernetzbaren Systeme sind beispielsweise Maschinenmodule, Roboter beziehungsweise Cobots, fahrerlose Transportsysteme (FTS) oder auch mobile Logistikassistenten. Mit einer neuen Automatisierungslösung, die in Kooperation von der TH Köln, SEW-Eurodrive, Intel und Codesys konzipiert wurde, lassen sich diese Anforderungen schnell und einfach umsetzen. Als Technologiedemonstrator wurde ein Tripod von autonox Robotics mit drei Servoachsen und zwei virtuellen Achsen aufgebaut (Bild 1).
Tripods ermöglichen sehr schnelle Bewegungen, die Menschen gefährlich werden können. Im kooperativen Betrieb ist es notwendig, die Geschwindigkeiten vom Tool Center Point und den drei Ellenbogen funktional sicher zu überwachen. Bei einem Tripod ist die notwendige Koordinatentransformation vergleichsweise aufwendig, denn es wird eine funktional sichere Abarbeitung von komplexen Fließkomma-Algorithmen benötigt.
Wie bei allen Mensch-Roboter-Kollaborationen wird einfache Programmierung von schnellen und funktional sicheren Mehrachsbewegungen in Kombination mit flexibler Vernetzung gefordert. Ein Industrie-PC mit einem vom TÜV Süd zertifizierten Intel Quad-Core Prozessor wird zu einer SPS mit Motion-Control und voll integrierter Sicherheitssteuerung, die zwei Prozessorkerne für Sicherheitsfunktionen entsprechend IEC 13849 Kat. 3 nutzt.
Die Programmierung und Konfiguration der nicht sicheren Maschinensteuerung mit EtherCAT als Systembus erfolgt – wie bei SEW-Eurodrive üblich – IEC 61131-3-kompatibel mit Codesys. Mit dem Entwicklungssystem auf dem Engineering-PC können Automatisierungssysteme erstellt und in Betrieb genommen werden (Bild 2). Die zyklische Ausführung der Algorithmen als Soft-SPS ermöglicht die Codesys-Runtime.
Linux mit Echtzeiterweiterung als Betriebssystem für die Runtime ermöglicht die Nutzung der offenen PC-Architektur mit den vielfältigen Erweiterungsmöglichkeiten. Die in der neuen Automatisierungslösung zusätzlich integrierte Sicherheitssteuerung basiert auf Codesys Safety SIL 2, einer vom TÜV Süd zertifizierten IEC 61131-3-Software. Besonderes Merkmal der Implementierung ist die extrem hohe sicherheitsgerichtete Rechenleistung für komplexe Fließkomma-Algorithmen.
Die Codesys Safety SIL2 Runtime wird innerhalb einer separaten virtuellen Maschine synchron zur nicht sicheren Runtime auf demselben Quad-Core-Prozessor ausgeführt. Die Kommunikation mit der Sicherheitssteuerung erfolgt über Shared-Memory-Bereiche. Die Servomotoren CMP50M mit PxG-Getriebe von SEW-Eurodrive wurden mit EnDat 3 Encodern und 2-wire-Schnittstelle ausgestattet. Über die zwei, üblicherweise für den Temperatursensor vorgesehenen Adern im Motoranschlusskabel kommuniziert der Geber ohne separates Kabel voll digital mit dem Antrieb. Die Sicherheitsfunktionen im Antrieb – Safe Torque Off (STO) und Safe Brake Control (SBC) – werden über EtherCAT / FSoE angesteuert. Im Mehrachs-Safe-Motion-System sind die motorintegrierten Encoder sicherheitsgerichtete Sensoren (Bild 2). STO und SBC im Antrieb bilden die sicherheitsgerichteten Aktoren.
Die für eine Sicherheitssteuerung extrem hohe Rechenleistung ermöglicht es, die angeschlossenen Antriebe platzoptimiert mit deutlich reduzierter Safety-Logik auszustatten, bei dem die Safety-Funktionalität in den Antrieben durch Safety-Bausteine im Modul-Controller ersetzt wird (Bild 3). Die in der IEC 61800-5-2 spezifizierten Sicherheitsfunktionen können zentral für Mehrachssysteme implementiert werden.
Die zentrale Safety-Diagnose ermöglicht zudem eine besonders einfache Implementierung von degradierten Betriebsarten. Eine sogenannte „qualifizierte Diagnose“ beurteilt zentral nach Fehlerart und Fehlerort, ob eine Sicherheitsteilfunktion – eventuell unter zu beachtenden Bedingungen – normkonform weiterbetrieben werden darf.
Bei der Einbindung eines Automatisierungsmoduls in größere Automatisierungssysteme sind die Anforderungen in der Regel anders gewichtet. Oberhalb der Modul-Controller sind Safe-Motion-Funktionen oft digital. Es ist hier nicht erforderlich, sichere Encoder Positionen zyklisch zu übertragen, sondern über Profinet/Profisafe oder MQTT/OPC UA Safety werden Sicherheitsfunktion wie Safely Limited Speed (SLS) nur noch sicherheitsrelevant ein- beziehungsweise ausgeschaltet. Eine Vernetzung entsprechend der IEC 61499 mit deren Fokus auf Interoperabilität und ereignisorientierter Programmierung in Verbindung mit ethernetbasierten PubSub-Methoden ermöglicht es sehr viele Modul-Controller miteinander zu vernetzen (Bild 4). Durch die Möglichkeit einer Anbindung über DDS an das aktuelle Robot Operating System ROS 2 können Roboter und Cobots jetzt sehr einfach bewährte Methoden aus der Automatisierung nutzen, insbesondere sichere Bewegungsfunktionen für Mehrachssysteme.
Das neue Automatisierungskonzept ermöglicht flexibel vernetzbare, hochdynamische Systeme mit integrierter Sicherheitssteuerung und höherer Funktionalität bei gleichzeitig deutlich verringerter Hard- und Softwarekomplexität. Durch den Einsatz von Codesys sowohl für den Standard- bereich als auch für die Funktionale Sicherheit wird die Inbetriebnahme schneller, die Möglichkeiten für Fehlparametrierungen reduziert und der Support erleichtert. Durch die sehr schnelle, sichere Kinematik werden komplexe Applikationen mit kooperierenden Robotern wirtschaftlicher und schneller umsetzbar. Besonders interessant sind die Vorteile der Lösung für mobile Anwendungen wie FTS oder Paletten-Shuttle, bei denen Platz, Funktionale Sicherheit und Energieeinsparung wesentliche Aspekte sind.