Technik & Finanzen

Ohne Künstliche Intelligenz keine digitale (industrielle) Zukunft

26. Oktober 2022, 16:28 Uhr | Thomas Rappold
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Hohe Energiekosten, Unsicherheiten in der Energie-Lieferkette sowie die starke Ausrichtung auf das Exportland China stellen die Zukunftsfähigkeit des (Export-)Geschäftsmodells Deutschlands in Frage. Der Wandel hin zur smarteren intelligenteren Industrie ist vordringlicher denn je

Die Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatung EY kommt in ihrer regelmäßigen Analyse zu den weltweiten Top-Börsenkonzernen zu einem für Deutschland ernüchternden Ergebnis: Kein europäisches Unternehmen findet sich unter den Top 10 und erstmals seit den Erhebungen im Jahr 2006 schafft es kein deutsches Unternehmen unter die Top 100. Bezeichnenderweise kommt das wertvollste europäische Unternehmen mit dem Schweizer Unternehmen Nestlé aus dem eher „Low-Tech“ Nahrungsmittelsektor. Beim bestplazierten deutschen Unternehmen handelt es sich um den Softwarekonzern SAP mit einem Börsenwert von 106 Mrd. US-Dollar auf Platz 113. Die deutsche Telekom folgt mit einem Börsenwert von 98 Mrd. US-Dollar auf Rang 120. Da an der Börse bekanntlich die Zukunft gehandelt wird, sehen international orientierte Anleger Deutschland und damit deutsche Unternehmen deutlich im Hintertreffen.

Trotz der starken Kurskorrekturen aufgrund von Zins- und Konjunkturängsten im ersten Halbjahr 2022 – insbesondere im Tech-Sektor – dominieren amerikanische und asiatische Tech-Konzerne die Rangliste. Von den aktuell 23 Technologieunternehmen im Top-100-Ranking haben 17 ihren Hauptsitz in Nordamerika, vier in Asien und nur zwei in Europa. Die Berater von EY ziehen ein für Europa und Deutschland kritisches Fazit: „Europa leidet aus Sicht vieler Investoren nach wie vor unter einem Mangel an vielversprechenden Technologiekonzernen von Weltformat. Die USA geben im IT-Sektor eindeutig den Ton an, viele dieser Tech-Unternehmen sind hochprofitabel und treiben die Digitalisierung der Wirtschaft und aller Lebensbereiche mit Macht voran. Als Gestalter dieses technologischen Wandels spielen allenfalls noch asiatische Konzerne eine Rolle – europäische Konzerne hingegen kaum, und das spiegelt sich im Börsenranking deutlich wider.“

Ohne Künstliche Intelligenz keine digitale (industrielle) Zukunft
Mit dem Solactive Artificial Performance-Index (ISIN: DE000VL3SJB4) von Vontobel können Anleger über ein Indexzertifikat in 20 bedeutende Aktien führender Unternehmen im Bereich Künstlicher Intelligenz investieren. Dabei deckt der Index die gesamte Wertschöpfungskette mit Unternehmen aus den Sektoren KI-Hard- und Software-Plattformen, KI-Anwendungs-Industrien sowie Big-Data-Plattformen ab.
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Während europäische und deutsche Unternehmen bestehende Geschäftsmodelle in iterativen Stufen mit geringerem Risikoeinsatz verbessern, ist es amerikanischen und asiatischen Unternehmen gelungen, völlig neue und vor allem digitale Geschäftsmodelle auch meist in Form von wachstumsstarken Tech-Unternehmen aus dem Nichts zu kreieren. Gleiches gilt für die Elektromobilität, wo Tesla aus den USA oder BYD und Nio aus China der deutschen Paradebranche die Stirn bieten.
Doch wie kann Europa nun die vielbeschworene zweite Halbzeit der Digitalisierung erfolgreich gestalten? Die Berater von EY sehen in der Digitalisierung noch gewaltige „ungenutzte Potenziale“, die gehoben werden können. „Die Art und Weise, wie in Zukunft produziert wird, wird sich weiter verändern. Deutsche Industriekonzerne können diese Entwicklung entscheidend prägen und in diesem Bereich US-Konzernen Paroli bieten.“

Big Tech und Künstliche Intelligenz

Die hohen Börsenbewertungen der amerikanischen und asiatischen Tech-Konzerne und deren sprudelnde Gewinne in Milliardenhöhe sind das Elexier für strategisch ausgerichtete Zukunftsinvestitionen. Gemäß einer Untersuchung der Berater von PwC bilden die Tech-Konzerne Amazon, Alphabet, Apple, Samsung und Microsoft die Speerspitze bei Forschungs- und Entwicklungsaufgaben. Nur der deutsche Autokonzern VW kann in diese Phalanx eindringen und mithalten. Aktuellstes Beispiel für einen mutigen strategischen Zukauf stellt die Übernahme des Robotik-Unternehmens Roomba, Hersteller der bekannten Staubsauger iRobot, durch Amazon dar. Die 1,7 Mrd. US-Dollar teure Übernahme des intelligenten Staubsaugerherstellers durch den eCommerce-Riesen ist ein weiteres Indiz für die Ambitionen des Unternehmens in der Smart-Home-Branche. Noch wichtiger als die Technologie von iRobot ist deren Datenschatz mit 40 Mio. Kunden und deren Zuhause. Frei nach dem Bestseller Autor Daniel Kehlmann kann man von einer „Vermessung der Wohnzimmer“ durch Amazon sprechen. Amazon könnte also anhand der Essenskrümel zukünftig gezielt Werbung für Lebensmittel und Süßigkeiten einblenden, die der einzelne Konsument favorisiert – persönlicher kann die Werbung nicht mehr gestaltet werden. Da Amazon selbst auch Supermarkt-Betreiber ist, kann der Konzern die gesamte Wertschöpfungskette der Kunden bedienen und anhand der anfallenden Datenpunkte auch gezielt analysieren.

Die Strategie von Amazon hat etwas von dem Lego-Bausteinkonzept: Man nehme die Amazon-Plattform, reichere sie durch gezielte Zukäufe an und packe die einzelnen Dienste in attraktive Mehrwert-Dienste. Amazon Prime ist das Paradebeispiel: Im Mittelpunkt des Service steht die bevorzugte Lieferung der bestellten Waren, tatsächlich ist es aber verbunden mit dem Streaming-Dienst. Inzwischen verfügt Amazon über mehr als 200 Mio. Prime-Mitglieder, die in 2020 rund 25 Mrd. US-Dollar an Gebühren bezahlt haben. Im Zuge der gestiegenen Inflation erhöht Amazon die Gebühren des Diensts nun kräftig.

Rahmenbedingungen in Deutschland

Wie sich Künstliche Intelligenz im Arbeitsalltag von Ingenieurinnen und Ingenieuren niederschlägt und welche Fortschritte erzielt wurden, das wollte der VDI in einer nach 2018 zum zweiten Mal durchgeführten Umfrage von seinen Mitgliedern wissen. Die Resultate sind ernüchternd: Laut VDI haben sich die Prognosen aus der vor vier Jahren durchgeführten Umfrage und die damals geäußerten Erwartungen bis heute „deutlich nicht“ erfüllt. Die Mehrheit der Befragten gibt zudem an, dass ihr jeweiliger Arbeitgeber noch keine KI-basierten Produkte oder Dienstleistungen anbietet.

Anwendung finden Lösungen der künstlichen Intelligenz bevorzugt in den Bereichen Datenanalyse und vorausschauende Instandhaltung. Der deutschen Industrie tut sich also auch zehn Jahre nach Erfindung des Begriffs „Industrie 4.0“ schwer damit, eine digitale Transformation in Form von digitalen kostenpflichtigen Services anzubieten. Die deutsche Automobilindustrie nimmt sich immerhin Erzrivale Tesla zum Vorbild und bietet digitale Zusatzdienste als Software-Abo an. Daimler-Chef Ola Källenius rechnet für sein Unternehmen bis 2025 mit einem Umsatzbeitrag von einer Milliarde Euro.

KI-Anwendungsfälle in der Industrie

Digital und nachhaltig – Infrastruktur 4.0 neu gedacht
Der Autor: Thomas Rappold ist Experte für Technologieinvestments, FinTech-Unternehmer und internationaler Bestsellerautor.
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Für die deutsche Industrie liegen die KI-Einsatzfälle auf dem Präsentierteller. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft erfordert intelligente digitale Modelle. Aus weniger mehr machen und Ressourcen effizienter nutzen, ist das Gebot der Stunde. Im Rahmen einer Bitkom-Umfrage gaben 45 % der befragten Unternehmen an, bis zum Jahr 2030 vollständig klimaneutral sein zu wollen. Bei 77 % hat die Digitalisierung zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes geführt. Einsparpotenziale und damit lukrative Einsatzbereiche für KI bieten sich für die Industrie in den Segmenten intelligente Mobilitätssteuerung, Heizsysteme und intelligente Stromnetze. Durch den Einsatz KI-basierter Produktivitätswerkzeuge kann die Industrie dem demographischen Wandel und dem Fachkräftemangel die Stirn bieten. Microsoft mit ‚Github Copilot‘, aber auch Amazon mit dem ‚Code Whisperer‘ sowie Google mit dem ‚KI-Codierassistenten‘ zeigen wie Softwareentwicklung verstärkt automatisiert und produktiver gestaltet werden kann.


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