Was bedeutet Industrie 4.0 für den Sensorhersteller Sick? Zur Notwendigkeit von Offenheit und Problemen bei der Standardisierung bezieht Dr. Robert Bauer, Vorsitzender des Vorstands von Sick, Stellung.
Dr. Bauer, die Wachstumszahlen von Sick sind wahrlich beeindruckend…
Bauer: Wir sind 40 Jahre lang kontinuierlich gewachsen, tatsächlich jährlich durchschnittlich um 10 %. Unser Wachstum kommt natürlich auch daher, dass moderne Maschinen immer mehr sensorische Fähigkeiten brauchen – das heißt, das normale Wachstum einer Fabrik wird durch einen höheren Anteil an Sensorik zusätzlich verstärkt. Dies ist der eigentliche Treiber, der uns über das ‚normale‘ 3-%-Wachstum hebt.
Mittlerweile haben wir uns ganz klar auf ‚Sensor Intelligence‘ spezialisiert – eine junge Technologie mit vielen Wachstumschancen, die wir kontinuierlich und langfristig ausbauen werden. Wichtig dabei: Der Bereich der Intelligenz ist nicht begrenzt; er betrifft sowohl den Bereich, der direkt mit dem Sensor verbunden ist, als auch die intelligenten Kommunikationspfade.
Wie würden Sie die Anforderungen an die Sensor-Kommunikation der Zukunft definieren?
Bauer: Die Sensor-Kommunikation muss zweiseitig ausgerichtet sein und mit hohen Bandbreiten ausgestattet werden. Der Rückkanal ist wichtig, um Sensorik in autonome Systeme einbinden zu können, denn ohne Rückkanal sind keine lernenden Systeme möglich.
Vor welchen zentralen Fragestellungen sieht sich Sick angesichts der Industrie 4.0?
Bauer: Als Sensorhersteller stellen wir die technischen Daten bereit. Also brauchen wir ein Ökosystem, um die Daten optimal verarbeiten zu können. Daraus ergeben sich zum einen technische Herausforderungen bei den Prozessoren, zum anderen stellen sich Fragen zur Datensicherheit und zur Souveränität über die Daten, damit jeder Kunde Daten auch zur Verfügung stellt. Ist Datensicherheit nicht gegeben, wird I4.0 aus wirtschaftlichen oder sonstigen Überlegungen geblockt. Dies behindert dann den tatsächlichen Fortschritt.
Sick ist sicher nicht umsonst Gründungsmitglied der Initiative ‚Industrial Data Space‘ ...
Bauer: Die Datensouveränität ist ein Schlüssel für den wirklichen Erfolg und Durchbruch von Industrie 4.0. Aber es gibt zwei Interessenslagen: Die einen wollen Daten bereitstellen, die anderen wollen die empfangenen Daten beliebig verwenden – zum Beispiel gibt es sehr große Cloud-Anbieter, die die Daten anonym weiterverarbeiten wollen. Hier existiert ein wirklicher Interessenskonflikt. Deshalb glauben wir, dass wir ein allgemein anerkanntes Datensystem – ein Ökosystem – brauchen, wo man die Daten abgeben kann und genau weiß, was mit diesen Daten passiert. Entweder man verkauft sie oder man sagt ‚Nein‘ und will sie nur für spezielle Zwecke verarbeitet sehen. So etwas geht bereits heute mit einem bilateralen Verfahren, das lässt sich über Verträge aushandeln. Denkt man das Ganze aber vernetzt, entstehen beliebig viele Übergabepunkte und vor allem Mehrfach-Stationen – die Daten werden ja von Cloud zu Cloud weitergegeben. Das lässt sich vertraglich nur mit extrem hohem Aufwand regeln. Deshalb bedarf es einer zuverlässigen technischen Lösung. Wir sind überzeugt, dass der ‚Industrial Data Space‘ dieses Ökosystem bereitstellen kann und sich so für alle Beteiligten der Vertrauenslevel erhöht. Ist das gegeben, können Daten verantwortungsvoll abgegeben werden, weil man die Hoheit und die Souveränität behält. Hier steckt die große Herausforderung.
Im Industrial Data Space ist die höchste Vertrauensstufe so ausgelegt, dass nicht die Daten übertragen werden, sondern nur die Funktion. Auf die Art lässt sich eine Abstufung von völlig freien Daten bis zu höchst vertrauensvollen Daten schaffen.
Der Industrial Data Space hat inzwischen sehr viele und auch große Mitglieder, weil nach und nach klar wird, dass es ein einzelnes Unternehmen nicht schaffen kann, ein Ökosystem aufzubauen. Der nächste Schritt beim Industrial Data Space zielt daher auf mehr internationale Firmen.
Wie digital ist Sick denn schon bei eigenen Prozessen?
Bauer: In unseren eigenen Produktionen führen wir bei neuen Anlagen die Industrie-4.0-Ideen 1:1 ein – zum Beispiel Agentensysteme.
Alte Produktionsanlagen rüsten Sie nicht nach?
Bauer: Alte Anlagen sind natürlich angeschlossen, werden aber nicht in voller Ausprägung nachgerüstet. Wir haben beispielsweise seit gut zehn Jahren eine Losgröße-1-Fabrik für Lichtschranken, die man durchaus als I4.0-Anlage sehen kann. Während sie heute noch durch ein Band vernetzt ist, stehen die einzelnen Funktionen künftig unabhängig nebeneinander und werden von Agentensystemen angefahren. So wird das Ganze flexibler – vor allem für neue, heute noch unbekannte Produkte. Denn in meinen Augen ist die Vision von Industrie 4.0 die, die Produktion so flexibel zu gestalten, dass sie etwas produzieren kann, was noch gar nicht erfunden ist. Aber das dauert sicher noch zehn bis zwanzig Jahre.