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5G-Einsatz unter der Lupe

22. Februar 2023, 11:07 Uhr | Dr.-Ing. Christoph Jürgenhake und Quy Luu Duc
5G-Einsatz unter der Lupe
© Adobe Stock/Fraunhofer IEM

Um zukünftig Produkte effizienter, flexibler und autonomer fertigen zu können, hoffen viele Unternehmen auf die Mobilfunktechnologie 5G. Doch wann ist der Einsatz von 5G wirklich sinnvoll? Und welche Herausforderungen birgt die Technologie in sich?

Silvesterabend. Punkt Mitternacht. Millionen Nachrichten gehen in die Welt – und brauchen ewig, bis sie ankommen. Das Netz ist überlastet. Im aktuellen LTE-Netz ist das ein Klassiker. Mit 5G soll das anders sein. Denn der Mobilfunkstandard bietet nicht nur eine hohe Datenrate von bis zu 10 Gbit/s und geringe Latenzen von bis zu 0,1 Millisekunden, sondern erlaubt auch bis zu 1 Mio. Endgeräte pro km2. Für private Nutzer ist das in erster Linie praktisch. Es ermöglicht schnelles Surfen, Streamen und Senden sehr großer Dateien. Für Industrieunternehmen kann 5G von entscheidender Bedeutung sein: Stockt die Datenübertragung zum Beispiel beim autonomen Fahrsystemen, ist das nicht nur lästig, sondern im schlimmsten Fall auch tödlich. Die 5G-Technologie ist für Betriebe deshalb eine wichtige Option, um sinnvoll und sicher über das Breitbandnetz zu kommunizieren und Services anzubieten.

Hohe Datenraten, hohe Verfügbarkeit

Höhere Datenraten, mehr Teilnehmer im Netz, sehr hohe Verfügbarkeiten. Das sind die Vorteile, von denen Industrieunternehmen in Zukunft profitieren wollen. Sie möchten mit Hilfe von 5G zuverlässig Notfallsignale abgeben, autonome Fahrzeuge im Fabrikbetrieb einsetzen oder gar Maschinen standortübergreifend in Echtzeit steuern. Gerade wenn die Unternehmensflächen groß sind, und viele Sender und Empfänger aufeinandertreffen, macht der Einsatz des aktuell noch sehr kostspieligen Mobilfunkstandards Sinn. Wer wie zum Beispiel in der chemischen Industrie Chemieparks mit einer Größe von mehreren 10.000 Quadratmetern betreibt, profitiert von einer eigenen 5G-Datenautobahn – trotz hoher Investitionen für das eigene lokale so genannte Campusnetz.

Ob sich eine solche Entscheidung für einen mittelständischen Maschinenbaubetrieb rechnen würde, ist jedoch nicht sicher. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollten bei ihren Überlegungen zum Einsatz des neuen Mobilfunkstandards genau hinschauen: 5G darf kein Selbstzweck sein. Im Fokus der Entscheidungsfindung müssen hingegen folgende Fragen stehen: Wann ist der Einsatz von 5G wirklich sinnvoll? Welche Mehrwerte bietet die Technologie dem jeweiligen Unternehmen? Und gibt es andere Technologien, die besser geeignet sind?

Großer Investitionsaufwand

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5G-Einsatz unter der Lupe
Die Fraunhofer-Institute IEM, IPT und IPA testen derzeit die standortübergreifende Steuerung eines kleinen kollaborativen Roboters, genannt Cobotta.
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Schließlich sind mit dem stark im Trend liegenden Mobilfunkstandard zusätzlich zum hohen Investitionsaufwand auch weitere Herausforderungen verbunden. So gibt es beispielsweise wenige industrietaugliche Geräte wie Router, Access Points oder Chips, die zur zielführenden Arbeit mit 5G in Maschinen und Anlagen eingebaut werden müssen. Auch ist die Technologie sehr energiehungrig. Die Basisstationen benötigen viel Strom und gerade bei mobilen Systemen wie autonomen Fahrzeugen zeigt sich ein hoher Energieverbrauch. Und letztlich gibt es Anwendungen, die mit einer WLAN- oder LAN-Verbindung genauso gut, wenn nicht sogar besser umgesetzt werden können.

Use Case: 5G oder WLAN/LAN-Verbindung?

5G oder WLAN/LAN-Verbindung: Welches Netz bietet die besseren Latenzen? Genau diese Frage haben sich die Forscher des Fraunhofer IEM in einem Use Case gestellt. Gemeinsam mit zwei weiteren Fraunhofer-Instituten ging das Team dem standortübergreifenden Einsatz von 5G auf den Grund: Ziel war die Steuerung eines kleinen kollaborativen Roboters, genannt: Cobotta. Während Controller und 5G-fähiger Laptop am Fraunhofer IEM in Paderborn standen wurden die Daten ans Fraunhofer IPT in Aachen weitergegeben. Dort lief die gesamte Rechenleistung über eine Fraunhofer Edge Cloud. Eine sichere VPN Verbindung über das Internet leitete die Steuerungsdaten ins Fraunhofer IPA nach Stuttgart und ein 5G-Gateway weiter an den Cobotta, der daraufhin genau die Bewegungen ausführte, die ihm in Paderborn vorgegeben wurden. Ein Vorgang, der einwandfrei funktionierte und immer noch funktioniert – bei dem die 5G-Technologie aber aufgrund des aktuellen Release 15 dennoch nicht so gut abschnitt, wie erwartet. Noch können LAN- und WLAN-Verbindungen mithalten.

Forschungsprojekt 5G-4-Automation

Hier soll Release 16 der 5G-Technologie Abhilfe schaffen, das bis spätestens Anfang 2023 erwartet wird und viele neue Applikationen mit sich bringen soll. Zum Beispiel in Bezug auf die Echtzeitfähigkeit der Verbindungen. Oder auf die Lokalisierung von Sensoren in Maschinen und Fertigungsanlagen. Dieses Feature soll bei einem weiteren Anwendungsbeispiel zum Einsatz kommen, an dem das Fraunhofer IEM aktuell mit dem Maschinenbauer Venjakob arbeitet. In dem gemeinsamen BMWK-Forschungsprojekt 5G-4-Automation soll eine Augmented-Reality-Applikation implementiert werden, die die Mitarbeiter des Unternehmens im Servicefall gezielt zu den betroffenen Anlagenteilen oder Komponenten führt. Wann steht die nächste Wartung an? Welches Modell wird gerade gefertigt? Oder welcher Motor ist defekt? Mit Hilfe der 5G-basierten Applikation sollen diese Fragen zukünftig problemlos beantwortet werden und Servicemitarbeiter effizient und effektiv reagieren können.

Aktuell arbeiten die Forscher des Fraunhofer IEM am konzeptionellen Aufbau des Demonstrators. Sie haben die Datenstruktur und den Datenfluss aufgenommen und analysiert. Gerade dieser Datenfluss spielt bei einer Augmented-Reality-Anwendung eine zentrale Rolle und soll mit Hilfe von 5G unterstützt werden. Die Umsetzung des Use Case findet dann im IoT Xperience Center des Fraunhofer-Instituts in Paderborn statt. Dort kann auf das Nokia NDAC 5G SA Campusnetz zugegriffen werden, um die AR-Applikation zu validieren. Damit das gelingt, werden lösungsneutrale Demonstratoren aufgebaut. So zum Beispiel eine Miniatur-Fertigungslinie, die nicht allein für die Anwendung bei Venjakob geeignet ist, sondern sich auf Fragestellungen anderer Unternehmen übertragen lässt.

Hohe Erwartungen, große Unsicherheit

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Denn dass viele Unternehmen an dem Einsatz von 5G interessiert sind, ist auch ohne den wissenschaftlichen Beleg der Bitkom-Studie zu spüren. Mit der hohen Erwartungshalten geht oftmals aber auch eine große Unsicherheit einher. Denn so groß die Offenheit gegenüber dem neuen Mobilfunkstandard ist, so zahlreich sind die Fragen, wenn es an die Umsetzung und die Frage der individuellen Nutzung von 5G geht. Diesen Unsicherheiten muss mit konkreten Anwendungsfällen begegnet werden, die im industriellen Umfeld noch viel zu selten sind. Nur so lassen sich Einsatzmöglichkeiten von 5G in Industrieunternehmen validieren und gleichzeitig Betrieben nahebringen. Zentrales Ziel sollte sein, nicht allein auf der 5G-Welle mitzureiten, sondern den Unternehmen Möglichkeiten an die Hand zu geben, um den neuen Mobilfunkstandard sinnvoll einzusetzen. Gamechanger werden dabei die zukünftigen Releases 16 und 17 sein. Sie werden die direkte Umsetzung von Anwendungen wie der im Forschungsprojekt 5G-4-Automation entwickelten AR-Appli- kation ermöglichen – und Unternehmen zeigen, welcher Mehrwert ihnen durch den Einsatz der 5G-Technologie offensteht.


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