Erfolg ist auch an der Risikobereitschaft geknüpft. Doch wie wird mein Team risikofreudiger? Coach Bernhard Broekmann gibt Tipps.
Wie wird mein Team risikofreudiger? – Wie das meiste im Leben hängt auch diese Frage vom Kontext ab, in dem die Frage beantwortet wird. Bewegen wir uns im Kontext einer traditionell gewachsenen Organisation, die oft vor 80 oder mehr Jahren gegründet wurden, so liegen dort in der Regel klar standardisierte Abläufe mit bewährten Prozessen und Aufgabenzuschnitten vor. Hier sprechen wir heute von der Wasserfallorganisation: Anordnungen und Verantwortungen kommen von ‚oben‘, sprich: vom Management, und werden ‚unten‘ in der Organisation für die Wertschöpfung runtergerbrochen und angewendet. Veränderungen sollten nicht stattfinden, schon gar nicht von unten initiiert. Das hat viele Vorteile, es liegt aber keine experimentierfreudige Mentalität vor. Das heißt, die Mitarbeitenden geben ihre Kreativität am Empfang ab, Risikofreude ist nicht gewünscht und auch nicht vorhanden. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich immerhin das Prinzip der kontinuierlichen – oft mit Prämien belohnten – Verbesserungsprozesse (KVP) durchgesetzt, so dass die Mitarbeitende mehr in die Verantwortung kommen konnten.
Beantworten wir die Frage aber aus der Perspektive eines agilen Start-ups, wie es sie mittlerweile auch zu tausenden – zugegebenermaßen meist in geringerer Personalstärke – in der DACH-Region gibt, fällt die Antwort schon anders aus. Hier gibt es meist kleinere Teams mit flacher Hierarchie und einem hohen Maß an Eigenverantwortung, um mit hoher Autorisierung und einem gut ausgeprägten Ohr an den Bedürfnissen der Kunden orientiert die eigenen Prozesse und Produkte zu verbessern oder Neues zu entwickeln. Dann bewegen wir uns im agilen Umfeld, hier ist es geradezu erwünscht, dass alle mitdenken, ihr Knowhow und ihre Ideen genauso wie ihre Bedenken einbringen und eine gewisse Risikobereitschaft zeigen.
Die Stacey-Matrix zeigt, wo es aufgrund der Aufgabenanforderung ankommt, ob es sinnvollerweise traditionelles Arbeiten oder agiles Arbeiten braucht [4]. Sie nutzt das Ausmaß der Klarheit bzgl. des Zieles (Wo muss ich hin?) und des Weges (Wie komme ich dahin?) zur Unterscheidung von Aufgabenqualitäten, die zwischen komplexen Aufgaben auf der einen Seite und einfachen bis komplizierten Aufgaben auf der anderen Seite unterschieden werden.
Bei einfachen Aufgaben sind Weg und Ziel klar, zum Beispiel das Bedienen einer einfachen Maschine.
Bei komplizierten Aufgaben im Grunde auch, aber es braucht Experten und Fachkräfte, im Grunde ist das Ergebnis prädestiniert und auch wiederholbar, zum Beispiel der Bau einer Maschine.
Die komplexen Aufgaben sind nicht mehr überschaubar, weil zu viele Anteile mit einer unendlichen Anzahl an Wechselwirkungen zusammentreffen. Ein lineares Ursache-Wirkungs-Denken ist hier nicht mehr möglich. Ganz extreme Beispiele sind der Klimawandel oder der Syrienkrieg, weniger extreme Beispiele sind sich schnell ändernde Businesswelten oder zu interpretierende Geschäftszahlen. Komplexe Systeme sind immer lebendige Systeme – sie sind nicht mehr eindeutig plan- und steuerbar. Der letzten Qualität, den chaotischen Aufgaben/Zuständen, gibt Stacey die Empfehlung mit, sie zu vermeiden oder zu reduzieren.
Das Wesen der Komplexität ist ihre Undurchschaubarkeit. Wenn ich als Führungskraft oder als Managementteam aber mit Komplexität umgehen muss, ist es ratsam, möglichst viele Sichtweisen (Multiperspektivität) zuzulassen, um aus verschiedenen Einzelbildern, die alle etwas anderes wiedergeben, ein Gesamtbild herstellen zu können.
Ein zweiter Ansatz, komplexen Aufgaben zu begegnen, ist das experimentelle Vorgehen, womit wir automatisch bei der Risikobereitschaft sind.
Ein weiteres Merkmal von komplexen Zuständen oder Aufgaben ist, dass man die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung nur im Nachhinein feststellen kann, aber nicht im Voraus.
Dave Snowden, der walisische Erfinder des Cynefin-Frameworks, gibt dementsprechend die Empfehlung, gerade komplexen Aufgaben, mit dem Ansatz »Probe - Sense – Respond« anzugehen, was in etwa dem „Ausprobieren - Wahrnehmen – Reagieren“ entspricht. Das entsprechende Ergebnis nennt er emergente Praktiken (auftauchende Praktik oder Lösung).
Damit sind wir bei der ersten Antwort auf die Frage, warum und unter welchen Umständen wir risikofreudige Teams brauchen: für die Lösung von komplexen Aufgaben.
Für die zweite Frage, wie wir die Risikobereitschaft eines Teams fördern können, können wir die Erkenntnisse der Lerntheorien nutzen. Das menschliche Verhalten wird – zum großen Teil – durch die nachfolgenden Konsequenzen des gezeigten Verhaltens bestimmt. Mitarbeitende sollten also für risikoreicheres Verhalten belohnt bzw. bewusst gefördert werden. Daraus leiten sich folgende Tipps für Teamleiter/Projektleiter/Scrummaster ab:
Tipp 1:
Tipp 2:
Dave Snowden hat gerade für den Ansatz bei komplexen Aufgaben das hypothesengeleitete Ausprobieren empfohlen, das nicht einem Schnellschuss ins Blaue entspricht, sondern einer praxisbegründeten Hypothese folgt [1].
Tipp 3:
Tipp 4:
Literatur:
[1] Snowden, D. (2010): das Cynefin-Framework.
[2] Gigerenzer, G. (2020): Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. Pantheon
[3] Lüders, M. (2019): Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet. Beck Paperback.
[4] Grosser, T. (2018): Agilität und Stacey Matrix.