IoT-Hotspot

Die vergessene Prüfstandtechnik

7. November 2018, 0:30 Uhr | Meinrad Happacher
Rahman Jamal
Rahman Jamal: "Auch wenn es heute noch nicht so zu sein scheint, so wird doch bald das global verteilte Management und Warten automatisierter Prüfstände ein integraler Bestandteil von Industrie 4.0 sein."
© National Instruments

Die Prüfstände spielen in der Fertigungstechnik eine wichtige Rolle. Doch bei der Industrie-4.0-Diskussion ist ­selten von dieser Disziplin die Rede. Geht die Prüfstandtechnik im allgemeinen Hype unter?

Herr Jamal, vergessen wir bei aller Industrie-4.0-Euphorie die Disziplin der Prüftechnik mit einzubinden? 

Rahman Jamal: Dieser Eindruck drängt sich tatsächlich auf: Wann taucht das Thema ‚Testen‘ im Zusammenhang mit Industrie 4.0 wirklich auf? Die Industrie-4.0-Diskussion wird meist auf die Automatisierung von Maschinenanlagen und Feldbusse reduziert. Dabei ist eine Digitalisierungsstrategie ohne das Einbeziehen von Test- und Fertigungstestdaten schlichtweg unvollständig. 

Der Test – die vergessene Disziplin?

Rahman Jamal: Test war schon immer nur ein Anhängsel, nicht sichtbar, ein Kostenfaktor! Aber ohne ihn geht es nicht: So hören wir ­mittlerweile verstärkt aus den Testabteilungen: „Wir brauchen Industrie-4.0-fähige Testlösungen.“ 

Wie reagiert die Test-Branche?

Rahman Jamal: Wir wissen, was das IoT mit dem Test macht: Es macht ihn komplexer. Jetzt heißt es, sich darüber Gedanken zu machen, inwiefern IoT-Technologien dem Test Nutzen bringen können. Und hierzu lässt sich sagen: Das automatisierte Testen kann erheblich von IoT-Technologien profitieren. Das gilt im Übrigen auch für die smarte Produktion, sprich Industrie 4.0! Dieses Potenzial müssen wir als Anbieter heben.

Von welchen Technologien der IoT-Plattformen sprechen Sie? 

Rahman Jamal: Zu den Technologien, die charakteristisch für IoT-Plattformen sind, zählen die Verwaltung von IoT-Endpunkten und die Vernetzungsmöglichkeiten derselben. Der Zugriff auf die Daten und Data Ingestion – also die Priorisierung von Datenquellen, die Validierung der Dateien und deren sinnvolle Weiterleitung. Die Visualisierung und Analyse von IoT-Daten und das Erstellen und Managen von IoT-Anwendungen.

Und inwiefern kann Industrie 4.0 von IoT-Technologien profitieren?

Rahman Jamal: Nun, es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen der smarten Produktion und dem automatisierten Test: Bei komplexen Maschinenanlagen müssen große Mengen an Daten generiert werden, um etwa Predictive Maintenance umzusetzen. Das haben wir auch beim automatisierten Testen: Hier fallen große Mengen an Daten an; und hier ist ein Asset- beziehungsweise Systemmanagement nötig. Ebenso bedarf es Daten-Analytics für die vorausschauende Wartung und die Zustandsüberwachung. Mit dem einen Unterschied, dass wir es an dieser Stelle mit automatisierten Prüfständen und somit mit Testdaten zu tun haben.

Kurzum: Der automatisierte Test – aber auch die agile Produktion – könnte von IoT-Plattformen und IoT-Technologien erheblich profitieren, und zwar in den Bereichen: Systemmanagement, Datenmanagement, Daten-Analytics sowie Applikationsentwicklung und Applikationsmanagement. 

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+
Software
Um entscheiden zu können, wohin letztlich welche Daten fließen sollen, ist ein Software-definierter Ansatz eines jeden einzelnen automatisierten Prüfstandes nötig.
© National Instruments

Brechen Sie diese Themen doch mal auf die Test-Welt herunter.

Rahman Jamal: Sehen Sie sich das Thema Systemmanagement an: IoT-Geräte sind von Hause aus gut vernetzt und verwaltet. Bei den Testsystemen trifft das in der Praxis aber kaum zu, obwohl sie immer mehr weltweit verteilt sind. Viele ältere Messgeräte und Prüfstände sind nicht vernetzt. Außerdem gibt es hier einen Wildwuchs an Schnittstellen wie GPIB, LXI und serielle Protokolle. Auch fehlt häufig der Überblick, wo und in welchem Zustand sich die kunterbunt verteilten Systeme befinden. Es ist also schwer nachzuvollziehen, welche Treiber- und Softwareversion darauf läuft, welche unterschiedlichen Hardware-Varianten zum Einsatz kommen.

Ähnlich ist es beim Datenmanagement: Sie finden eine Vielzahl an Datenformaten und -quellen vor – seien es parametrische Messungen oder rohe Analog- und Digitalsignalverläufe im Zeit- und -Frequenzbereich, die von den unterschiedlichen Schnittstellen wie GPIB, VXI, LXI, PXI oder Datenerfassungskarten erzeugt werden. Darüber hinaus sind die Daten oft auch noch in Silos und in unterschiedlichen Standards gespeichert. Folglich sind die Daten nicht unternehmensweit ‚sichtbar‘ und es fehlen dadurch einfach wertvolle Einsichten in manche Phasen des Produktlebenszyklus. 

Blickt man nun auf Daten-Analytics, so stellt man fest, dass handelsübliche Business-Analytics-Software für komplexe und mehrdimensionale Testdaten nicht ausgelegt ist. Es fehlen zum Beispiel die für Tests und Messungen üblichen Visualisierungsfunktionen wie kombinierte Grafen analoger und digitaler Signale, Augen-, Smith- und Konstellationsdiagramme. 

Sorgt man aber dafür, dass die Analytics-Software auf Testdaten ausgelegt ist, so ergeben sich viele Vorteile. Beispielsweise können die unterschiedlichsten Analysen durchgeführt werden – von einfachen Statistiken bis hin zu ausgefeilten Algorithmen aus der künstlichen Intelligenz oder maschinelle Lernverfahren. Ebenfalls lassen sich gängige Werkzeuge wie Python, R und MATLAB in den Arbeitsablauf inte­grieren.

Im Bereich Testsoftware-Management wiederum geht der Trend ganz klar weg von reinen zentralen Desktop-Anwendungen hin zu mehr verteilten Thin Clients oder Apps auf mobilen Geräten. Im Testumfeld neigt man aber eher zu proprietären, organisch gewachsenen zentralen Lösungen. Dabei wäre eine gut strukturierte modulare Testsoftware-Architektur mit Testverwaltung, Prüfcode, Mess-IP, Gerätetreibern, Hardware-Abstraktionsschichten und so weiter eine hervorragende Basis dafür, die vielen Vorteile des Cloud-Computings beispielsweise zu nutzen. 

Was muss also in der Testwelt passieren?

Rahman Jamal: Die Grundlage für jeden einzelnen automatisierten Prüfstand ist zunächst ein softwaredefinierter Ansatz mit einem hohen Grad an Modularität. Auf der nächsten Ebene folgen die unterschiedlichen Kategorien der Daten. Denn einerseits erzeugen die Prüfstände jede Menge Daten: Applikations-, Mess- und parametrische Daten. Andererseits steht der Prüfstand selbst ja auch auf dem Prüfstand! Sprich, ich muss mir ja auch den Gesundheitszustand meines Test-Assets anschauen, um die Auslastung der Testausrüstung zu verbessern, den Zustand von Testkomponenten zu überwachen und einen eventuellen Ausfall vorausschauend zu erkennen. Jetzt haben wir die unterschiedlichen Daten und können nun die IoT-Plattform-Fähigkeiten für das automatisierte Testen nutzen. Sprich, ich kann die vielfältigsten Dienstleistungen für das automatisierte Testen anwenden, angefangen bei einfachen Messaging Services bis hin zu ausgefeiltem Deep Learning und KI-Algorithmen, die meinen Workflow optimieren. Man spricht nicht zufälligerweise davon, dass die Zukunft im so genannten ‚Internet of Services‘ liegt.

Und auf dieser Basis können wir entscheiden, was wir in die Cloud verlagern wollen, was wir an die ERP-Systeme weitergeben wollen, welche Reports wir generieren möchten, all die Dinge, die für Business-Entscheidungen wichtig sind.

Sprechen wir von schönen Visionen oder kann der Anwender heute davon schon etwas konkret einsetzen? 

Rahman Jamal: Wir haben kürzlich SystemLink vorgestellt, eine Anwendungssoftware für die Verwaltung global verteilter Testsysteme – das geht in diese Richtung! Diese Software adressiert genau die hier angerissenen Punkte System- und Datenmanagement, Daten-Analytics sowie Testsoftware-Management. Mit einer zentralen, webbasierten Oberfläche sorgt sie für die Verwaltung von Geräten, Software und Daten für effizientere Abläufe und mehr Produktivität.


Verwandte Artikel

National Instruments Germany GmbH

Industrie 4.0

Interview