Interview mit Judith Herzog-Kuballa VDMA

Nachhaltigkeit muss Teil der zentralen Geschäftsstrategie sein

10. November 2022, 8:13 Uhr | Andrea Gillhuber
Judith Herzog-Kuballa, VDMA
© VDMA

Um auf dem Markt bestehen zu können, müssen Unternehmen sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Judith Herzog-Kuballa vom VDMA erläutert, warum Nachhaltigkeit kein Projekt ist, das ein Mitarbeiter »mal nebenbei macht«.

Frau Herzog-Kuballa, Blue Competence ist die Nachhaltigkeitsinitiative des Maschinen- und Anlagenbaus. Welche Ziele verfolgt der VDMA damit?

Judith Herzog-Kuballa: Der Maschinen- und Anlagenbau wird gebraucht – sei es, um den Klimawandel einzudämmen oder im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu produzieren. Die Technologien dieser vielfältigen Branche spielen bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele eine zentrale Rolle. Blue Competence macht diese Lösungen mittels Erfolgsgeschichten sichtbar. Zugleich will die Initiative zum ‚Nachahmen‘ einladen und die Verankerung von Nachhaltigkeit im Maschinen und Anlagenbau weiter fördern, indem wir Unternehmen ermutigen und dabei unterstützen, die wachsenden Nachhaltigkeitsherausforderungen zu meistern. Die zwölf Nachhaltigkeitsleitsätze des Maschinen- und Anlagenbaus geben eine erste Orientierung. Ein weiteres hilfreiches Instrument ist der branchenübergreifende ZVEI-VDMA-Verhaltenskodex.

Wie lässt sich das Thema Nachhaltigkeit strategisch im Unternehmen verankern?

Judith Herzog-Kuballa: Hierfür gibt es keine ‚One size fits all‘-Lösung, weil dies angepasst an die jeweilige Struktur des Unternehmens erfolgen muss. Wichtig aber ist, dass Nachhaltigkeit überhaupt strategisch verankert wird und zwar nicht parallel zur Geschäftsstrategie, sondern in die zentrale Geschäftsstrategie. Eine Geschäftsstrategie, die die drei ESG-Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Governance (Governance) nicht adressiert, kann heute und in Zukunft auf dem Markt kaum mehr bestehen. Wichtig ist, dass die Strategie von oben und unten getragen wird, dass daraus konkrete Ziele, Prozesse und Maßnahmen abgeleitet und Verantwortlichkeiten geschaffen werden. Wo und wie dieses aufgehängt wird, sollte abhängig und passend zur Unternehmensstruktur entschieden werden.

Und einen letzten Punkt möchten wir hervorheben. Nachhaltigkeit beziehungsweise eine Nachhaltigkeitsstrategie zu implementieren, ist kein Projekt. Dieses Megathema wird uns und die Menschheit noch lange begleiten und ist nicht übermorgen oder in zehn Jahren wieder verschwinden. Es ist ein langer Weg, auf den wir uns begeben und bei dem wir mit Blick auf die Herausforderungen immer noch ziemlich am Anfang stehen. Mit Klimazielen in Richtung Klimaneutralität zu starten, kann dabei ein erster und wesentlicher Einstieg in die Umsetzung der ESG-Anforderungen sein.

Welche Hindernisse müssen auf dem Weg zur Klimaneutralität überwunden werden?

Judith Herzog-Kuballa: Wie bei vielen Fragen steckt auch hier der Teufel im Detail. Hat ein Unternehmen sich entschieden, klimaneutral zu agieren, muss zunächst eine Zuständigkeit im Unternehmen für die Umsetzung festgelegt werden. Der häufigste Trugschluss – gerade bei KMUs – ist es, dass der Weg zur Klimaneutralität von einzelnen Mitarbeitenden ‚mal eben nebenbei‘ mitgemacht werden kann.

Für die Erstellung einer Klimabilanz, also der Erfassung des Ist-Zustands, und das Setzen eigener Klimaziele bzw. -strategien mit konkreten Maßnahmen benötigt es nicht nur spezifisches Wissen, sondern auch einen gewissen zeitlichen Aufwand. Die Frage nach der Zugänglichkeit von Daten zur Erstellung einer Klimabilanz ist eine zentrale Herausforderung und eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Neben einer klaren Zuständigkeit bzw. Aufteilung von Verantwortlichkeiten muss entschieden werden, ob die Klimaneutralität für das gesamte Unternehmen, einzelne Standorte oder Business Units oder gar Produktlinien erreicht werden soll. Diese Entscheidungen im Vorfeld zu diskutieren ist relevant, um möglichen Hindernissen im Vorfeld aus dem Weg zu gehen.

Zudem zeigt sich auch immer wieder, dass es nicht nur gilt, die eigene Klimaneutralität an Kunden, Investoren und andere Interessenvertreter zu kommunizieren, sondern auch die interne Kommunikation nicht zu vergessen. Die Mitarbeitenden sind die Multiplikatoren des eigenen Unternehmens. Es ist wichtig, dass intern kommuniziert wird, wie der Weg zur Klimaneutralität aussieht, was dies für das Unternehmen und die Mitarbeitenden bedeutet und wie jeder einzelne dazu beitragen kann oder muss.

Generell lassen sich durch offene Kommunikation und gut strukturiertes Vorgehen und Planen zahlreiche Hindernisse bereits im Vorfeld vermeiden. Der VDMA- Praxisleitfaden ‚Klimaneutral Produzieren: Handlungsempfehlungen für den Maschinen- und Anlagenbau‘ gibt unseren Mitgliedern Orientierung, sich in diesem Sinne auf den Weg der Klimaneutralität zu begeben.

Nachhaltigkeit wird gerne zur Imagepflege genutzt, auch um Fachkräfte zu gewinnen. Wie können Bewerber*innen aber auch potenzielle Kunden sicher sein, dass das fragliche Unternehmen konkrete Anstrengungen unternimmt?

Judith Herzog-Kuballa: In dem sie genau recherchieren: gibt es eine Nachhaltigkeitsstrategie, wie werden die ESG-Themen adressiert, wie sieht der Verhaltenskodex des Unternehmens aus, welchen Stellenwert haben Mitarbeitende, wo steht das Unternehmen in punkto klimaneutral produzieren und wie sieht das soziale Engagement aus. Sprich: Bewerber*innen müssen sich Kenntnis verschaffen. Kunden tun dies bereits. Allerdings erfolgen die Kundenanfragen auf vielfältigen Wegen. Insbesondere die vor allem von großen Unternehmen genutzten und nicht standardisierten Bewertungsplattformen generieren hier viel Aufwand ohne wirklichen Mehrwert. Ein akkreditiertes System einerseits und eine stärkere risikobasierte Vorgehensweise, statt mittels Gießkannenprinzip alle Lieferanten zu befragen, wären hier wünschenswert.

VDMA auf der SPS 2022: Halle 3, Stand 458

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