Interview mit Karsten Fuchs, Lapp

Gleichspannung in der Industrie

13. April 2023, 14:50 Uhr | Andreas Mühlbauer
Karsten Fuchs, Forschungsingenieur bei Lapp
© Lapp

Welche Perspektiven hat die Gleichspannungstechnologie in der Industrie? Darüber sprach Andreas Mühlbauer mit Karsten Fuchs, Forschungsingenieur in der Abteilung Innovation und Spitzentechnologie der Lapp Holding.

Lapp arbeitet seit einigen Jahren an der Gleichspannungstechnologie für die industrielle Produktion und fokussiert das Thema auch auf der Hannover Messe. Was hat Sie ursprünglich dazu veranlasst, in dieses Forschungs- und Entwicklungsfeld zu investieren?

Karsten Fuchs: Wir haben den Anspruch uns als innovativer Lösungsanbieter und Technologieführer im Bereich der Verbindungslösungen zu positionieren. Wir wollen mit Innovationen wirtschaftliche und industrielle Trendthemen besetzen. Gleichstrom ist so ein wichtiges Zukunftsthema. Um solche Trendthemen zu identifizieren, haben wir bereits vor über zehn Jahren einen Technologiebeirat ins Leben gerufen, der den Vorstand von Lapp in technologischen Zukunftsfragen berät. Er besteht aus namhaften Koryphäen von verschiedenen technischen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Parallel haben wir den Bereich der globalen Forschung und Entwicklung sowie die Steuerung von Labor- und Testzentrumsaktivitäten neu aufgestellt, um uns auch in diesem Bereich schneller und agiler aufzustellen.

Ein wesentlicher Faktor bei der Versorgung mit Gleichstrom ist die Energieeffizienz – auch ein Kernthema der diesjährigen Hannover Messe. Wie stellt sich das quantitativ im Vergleich zu einer Wechselstromversorgung dar und wie hoch sind Ihrer Einschätzung nach die realen Einsparpotenziale?

Fuchs: Insbesondere, wenn die Quelle für die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien wie Photovoltaik kommt, ist die Nutzung von Gleichstrom besonders effizient. Dort entsteht Gleichstrom (DC), der über Wechselrichter erst einmal in Wechselstrom (AC) umgewandelt werden muss. Wenn aber der Endverbraucher ebenfalls wieder ein digitales Gerät wie Laptop, I-Phone, eine LED-Leuchte oder der Ladepunkt für Elektrofahrzeuge ist, muss doppelt umgewandelt werden, denn diese Endverbraucher funktionieren nur mit Gleichstrom (DC). Dadurch entstehen Wandlungsverluste. Auch intelligente Produktionseinheiten in einer Fabrik enthalten oft einen internen DC-Zwischenkreis, für den mit der DC-Versorgung eine Wandlungsstufe entfällt. Experten gehen davon aus, dass mit dem konsequenten Einsatz von Gleichstrom in der Industrie nicht nur eine einfachere Integration erneuerbarer Energiequellen möglich ist, sondern Umwandlungsverluste zwischen AC und DC je nach Anwendungsfall im einstelligen Prozentbereich vermieden werden können. Darüber hinaus führt die Verwendung von DC auch zu Materialeinsparungen, beispielsweise bei Kupfer in den Kabeln und Leitungen. Das reduziert den Querschnitt und verbessert die Ressourceneffizienz.

Mit Sicherheit erfordert eine potenzielle Umstellung auf eine Gleichspannungsversorgung entsprechende gesetzliche und normative Rahmenbedingungen. Sind diese bereits ausreichend gegeben und welche Baustellen gibt es dort noch?

Fuchs: Es wurde schon viel geforscht und geredet, aber letztendlich fehlt bei der Standardisierung noch der große Durchbruch. Daher ist Lapp seit Herbst 2022 Gründungsmitglied der Open Direct Current Alliance (ODCA). Dabei handelt es sich um ein Bündnis von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und des ZVEI mit dem Ziel der DC-Technologie neue Dynamik zu verleihen. Die ODCA ist folglich die internationale und praxisnahe Fortführung der deutschen Gleichstromforschungsprojekte DC-Industrie und DC-Industrie2, die seit 2016 mit über 40 Partnern aus Industrie und Forschung daran arbeiten, die Energiewende in der industriellen Produktion umzusetzen. Auch Lapp war an diesen Forschungsprojekten aktiv beteiligt. Die ODCA konzentriert sich auf sechs Fokusthemen: Den Aufbau eines internationalen DC-Ökosystems und Etablierung der DC-Technologie für viele Anwendungen. Die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Anwendern, Planern, Herstellern, Zulieferern, Forschungseinrichtungen, Normungsorganisationen und Verbänden. Die internationale Verbreitung von Wissen und Lösungen zu Gleichstromnetzen sowie ein Investitionsschutz durch die Erarbeitung und Etablierung eines innovativen und nachhaltigen Gleichstromsystems. Gleichzeitig dient die ODCA als Plattform für Gestaltung weiterer Forschungsprojekte und soll dafür werben Politik und Gesellschaft über die Chancen von Gleichstrom auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden und CO2-neutralen Welt zu überzeugen.

Welche Ansätze hat Lapp bisher im Bereich DC-Versorgung verfolgt und welche besonderen Herausforderungen bringt die Technologie mit sich?

Fuchs: Lapp ist bei der Entwicklung von Kabeln und Leitungen für Niederspannungs-Gleichstromnetze für industrielle Anwendungen aktiv. Im Forschungsprojekt DC-Industrie2 waren wir geförderter Partner und erforschten die Langzeitstabilität von Isolationsmaterialien für Kabel und Leitungen. Schon viel früher hatten wir gemeinsam mit der TU Ilmenau in Versuchen herausgefunden, dass die Isolationsmaterialien im Gleichspannungsfeld ein anderes Alterungsverhalten zeigen als in einem Wechselspannungsfeld. Leitungen mit PVC oder Polyolefin-Isolation fielen bei Gleichstrom deutlich schneller aus als alle Prüflinge mit TPE-Isolierung. Um genauere Aussagen zu treffen, bedarf es noch weiterer Forschung. Dennoch gibt es keinen Grund, auf Leitungen mit PVC-Isolation in Gleichspannungsanwendungen zu verzichten. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Leitungen fest, also ohne Bewegung, sowie ohne mechanische Belastung etwa durch zu enge Biegeradien verlegt werden. Außerdem sollte die Umgebung stets trocken sein. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, etwa im bewegten Einsatz in Energieketten, können Anwender auf andere Isolationsmaterialien wie etwa TPE ausweichen.

Welche Produkte sind daraus bereits hervorgegangen? Sie haben sich meines Wissens unter anderem auf Leitungen für Robotik konzentriert?

Fuchs: Lapp hat als Erster weltweit ein DC-Portfolio vorgestellt - nicht nur für die Robotik. Dazu gehört beispielsweise die Ölflex DC GRID 100 – ein Gleichstrom-Kabel zum Anschluss von Gebäuden und Industrieanlagen. Es eignet sich zur Errichtung energiesparender DC-Netze in industriellen Anlagen im Niederspannungsbereich, beispielsweise zur Verwendung an Steuerungsanlagen, Motoren und Frequenzumrichtern. Im DC-Portfolio ist aber auch die Ölflex DC 100 mit neuer Farbcodierung der Adern nach der 2018 aktualisierten Norm DIN EN 60445 (VDE 0197) für Gleichstromleitungen. Weitere Leitungen sind die Ölflex DC Servo 700 für stationäre und die Ölflex DC Chain 800 aus TPE für bewegte Anwendungen, die erste DC-Roboterleitung Ölflex DC Robot 900 mit der Aderisolation aus TPE und einem Mantel aus PUR sowie die halogenfreie, hoch flammwidrige Einzeladerleitung Ölflex DC ESS SC für Gleichstromanwendungen bis 1,5 kV für den Einsatz in Energiespeichersystemen (ESS).

Wie schätzen Sie das Potenzial der Gleichspannungstechnik in der Industrie ein und in welchem zeitlichen Rahmen könnte sich diese Entwicklung bewegen?

Fuchs: Ein konsequent auf Gleichstrom ausgelegtes Energienetz käme auf einen viel größeren Gesamtwirkungsgrad gegenüber heute. Mehrere große Braunkohlekraftwerke könnte man dann abschalten. Eine Komplette Umstellung auf Gleichstrom ist aber wahrscheinlich Utopie. Trotzdem hoffe ich sehr, dass sich die Nutzung von Gleichstrom immer mehr durchsetzt. Der Strombedarf für Industrie, Haushalte und Verkehr wird durch die zunehmende Elektrifizierung in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Ohne Wandlungsverluste wäre unser Stromnetz viel effizienter. Eine zeitliche Prognose wage ich allerdings nicht.

Welche weiteren Themen adressiert Lapp auf der Hannover Messe in diesem Jahr?

Fuchs: Wir stellen auf der Hannover Messe vor allem unsere großen Trendthemen vor, dazu gehören neben der Gleichstrom-Technologie auch die Themen elektromagnetische Verträglichkeit oder auch unsere Services, die wir unseren Kunden als Mehrwert anbieten.

Lapp auf der Hannover Messe 2023: Halle 11, Stand C05

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