Interview zu ODCA

„DC-Technologie konsequent nutzen“

18. April 2023, 6:12 Uhr | Andrea Gillhuber
Im Interview: Dr. Hartwig Stammberger, Chair ODCA und Eaton Industries (links) und Dr. Jan Stefan Michels, Vice-Chair ODCA und Weidmüller
© ZVEI/Eaton Industries/Weidmüller

Das Projekt DC-Industrie2 ging kürzlich zu Ende, mit ODCA startete das Nachfolge­projekt. Im Interview mit Andrea Gillhuber sprechen Dr. Hartwig Stammberger und Dr. Jan Stefan Michels über das Potenzial der DC-Technologie und deren Bedeutung auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Nach sieben Jahren ging Ende März das Forschungsprojekt DC-Industrie2 zu Ende. Was sind die konkreten Ergebnisse?

Dr. Hartwig Stammberger: Wir haben in neun Modellanlagen DC „in die Fabrik“ gebracht und sehr erfolgreich getestet. Dabei konnten wir mit den 39 Partner­unternehmen und -instituten des Projekts zeigen, dass die komplette Bremsenergie von bewegten Massen wie Robotern genutzt wird, anstatt in Bremswiderständen buchstäblich verheizt zu werden. Zudem konnte die Spitzenleistung, die aus dem Versorgungsnetz bezogen werden muss, je nach Anlagentyp um circa 40 % reduziert werden. Das führt zu niedrigeren Energiekosten, die an die Spitzenleistung gekoppelt sind, und zu geringerem Investitionsaufwand beispielsweise für Trafos und Energieverteilung in der Fabrik.

Des Weiteren zeigen die Ergebnisse, dass man durch Versorgung mit Gleichspannung nur etwa 50 % des Kupfers in den Leitungen braucht und gleichzeitig die Verlustleistung in den Leitungen um circa 45 % verringert, da keine Blindleistung mehr übertragen werden muss. Und das Ganze kann direkt verwendet werden, erste Anlagen laufen bereits sicher und stabil!

Ein Aspekt von DC-Industrie war, Synergien mit Elektromobilität zu schaffen. Welchen Vorteil sieht die Industrie darin und wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen in diesem Zusammenhang?

Stammberger: Ein Teil von DC-Industrie ist die Anbindung von Batteriespeichern an das lokale DC-Netz in der Fabrik. Diese Speicher können eigenständige Batterien sein – wie sie auch in Elektrofahrzeugen eingesetzt werden – oder Batterien in Elektrofahrzeugen, die über bi­direktionales Laden angebunden sind. Damit werden Lastspitzen ausgeglichen. So braucht zum Beispiel das Widerstandspunktschweißen kurzzeitig hohe Leis­tung – die stellt jetzt der Speicher zur Verfügung und nicht mehr das AC-Versorgungsnetz.

Aus den Forschungsprojekten ist die Open Direct Current Alliance, kurz ODCA, entstanden. Ihr Ziel ist es, die Erkenntnisse und Lösungen der DC-Technologie in die interna­tionale Verbreitung bringen. Wie genau gehen Sie dabei vor?

Dr. Jan Stefan Michels: Nachdem wir in unserem Projekt DC-Industrie die technologischen Grundlagen für industrielle Gleichstrom-Anwendungen geschaffen und in den gerade genannten Modellanlagen validiert haben, wollen wir jetzt den Transfer in verschiedenste Serienanlagen schaffen, um das Potenzial der DC-Technologie breit zu nutzen. Deswegen arbeiten wir mit den mehr als 40 Mitgliedern der ODCA bereits in drei Arbeitsgruppen intensiv an den Themen „Open Technology“, „Use Cases“ und „Communication“.

Auch wenn wir bisher den Schwerpunkt auf industrielle Anwendungen gelegt haben, ist die DC-Technologie natürlich auch für weitere Anwendungen über die eigentliche Produktion hinaus geeignet. Wir kümmern uns insbesondere darum, es den Anwendern, Planern und Installateuren einfach zu machen, die Vorteile von Gleichspannung in DC Microgrids zu nutzen. 

Welchen Einfluss haben die aktuellen Klimadiskussionen und der Trend hin zu mehr Nachhaltigkeit auf Ihr Vorhaben?

Michels: Wir sehen uns dadurch in unserem Vorgehen bestärkt. Schließlich ist einer der Treiber der DC-Technologie die direkte Anbindung von Photovoltaik an den Produktionsprozess. Photovoltaik erzeugt Gleichstrom, der mit dem Ansatz von DC-Industrie direkt in die Antriebe in der Fabrik gespeist werden kann. Diese Antriebe werden zum größten Teil mit Frequenz­umrichtern betrieben, die bereits einen Gleichstrom-Zwischenkreis haben. Durch das lokale DC-Netz in der Fabrik entfallen viele Wandlungsstufen von DC auf AC beziehungsweise zurück. Das benötigt weniger Ressourcen und erspart die Verluste in den nicht benötigten Wandlern. 

Sehen Sie für die Zukunft vergleichbare Projekte für Bürogebäude, zum Beispiel für den Betrieb von Serveranlagen und Ähnlichem?

Michels: Ja, absolut – das Konzept von DC-Industrie wurde zwar mit dem Fokus auf Produktionsanlagen entwickelt, ist aber auf viele weitere Sektoren übertragbar. Genau darum geht es uns auch in der ODCA: Wir wollen das Potenzial der DC-Technologie konsequent nutzen, um Klimaneutralität zu erreichen und die Energieeffizienz auf ein neues Level zu heben. Deswegen haben wir uns mit der ODCA auch das Ziel gesetzt, den Transfer auf neue Anwendungsgebiete vorzubereiten und zu begleiten. Falls dafür die Technologie weiterentwickelt oder Standards definiert werden müssen, wollen wir das ebenfalls gemeinsam mit unseren Partnern in der ODCA angehen.

Der ZVEI auf der Hannover Messe 2023: Halle 11, Stand B39

Die ODCA auf der Energy 4.0 Conference Stage

Am  Dienstag, 18. April, werden unter anderem Vertreter der ODCA auf der Energy 4.0 Conference Stage in Halle 12, Stand D35, Vorträge rund um das Thema Gleichspannung in der Industrie halten. Das Programm:

9:30 Uhr: Dr. Hartwig Stammberger - Open DC Alliance: Machen Sie mit bei der Energiewende

10:00 Uhr: Dr. Martin Wetter - Neues Industriegebäude mit einem intelligenten DC-Netz

10:30 Uhr: Holger Borcherding - Ressourcenschonung und Energieeffizienz von industriellen DC-Netzen

 

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