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‚Enabler‘ für die Fabrikautomatisierung

10. April 2023, 8:45 Uhr | Heiko Seitz
© sewts

Je durchgängiger alle am Produktionsprozess beteiligten Komponenten miteinander kommunizieren, desto autonomer kann dieser erfolgen. Eine Schlüsseltechnologie für einen Produktionsprozess, in dem Fertigungsstraßen, Roboter und Maschinen vernetzt sind, ist die Machine Vision.

Ein Baustein für die Digitalisierung einer Fabrik ist die Machine Vision. Industriekameras übernehmen ähnliche Aufgaben wie Sensoren, eröffnen durch ihren universellen Einsatz jedoch neue Möglichkeiten bei der Automatisierung von Fertigungsprozessen. Als digitales Auge von Robotern und Maschinen unterstützen Industriekameras dabei, immer komplexere Aufgaben zu bewältigen. Ihr entscheidender Vorteil gegenüber hochspezialisierten Sensoren ist die Fähigkeit, mehrere Aufgaben zu verrichten, da Kameraaufnahmen eine weitaus flexiblere Auswertung verschiedener (optischer) Merkmale ermöglichen. Kaum eine andere Komponente interpretiert und erzeugt so viele unterschiedliche Daten wie die Bildverarbeitung. Sie erlaubt es, das Gesehene wie Produktmerkmale (Länge, Abstände, Anzahl), Zustände (Presence/ Absence) oder die Qualität im Produktionsablauf zu überprüfen, zu verarbeiten und die Ergebnisse an die Systeme im Wertschöpfungsnetzwerk zu übertragen. Dabei wird nicht nur ermittelt, ob das geprüfte Teil die gewünschten Merkmale erfüllt beziehungsweise gut oder schlecht ist, sondern je nach Ergebnis eine intelligente Handlung wie etwa das automatisierte Aussortieren gesteuert. Von diesem Plus an Flexibilität profitieren vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, für die die Automatisierung ihrer Fertigung aufgrund einer geringeren Stückzahl in der Produktion nicht wettbewerbsfähig realisierbar war. Kommen Kameras statt Sensoren zum Einsatz, können auch Kleinserien ab einem Teil kosteneffizient automatisiert oder Serien nachträglich skaliert werden.

Digitale Augen für Roboter und Maschinen

Industriekameras werden bereits in einer Vielzahl von Branchen eingesetzt: vom Geräte-, Anlagen und Maschinenbau über die Medizintechnik bis zur Landwirtschaft und Logistik. Dabei unterstützen sie ein breitgefächertes Aufgabenspektrum, beispielsweise in der In-line-Qualitätsinspektionen und der allgemeinen Qualitätskontrolle. In Verbindung mit einer nachgelagerten Bildverarbeitung überprüfen sie Produkte auf Abweichungen oder Makel, sodass jene Produkte, die nicht den gewünschten Anforderungen entsprechen, ausgemustert werden können, ehe sie die Produktionshalle verlassen. Im Vergleich zum menschlichen Auge arbeiten solche Machine Vision-Systeme schneller, genauer und zuverlässiger, da ihnen selbst bei hoher Taktung kein Detail entgeht. Zudem können Mitarbeitende bei monotonen, aber für Menschen mental herausfordernden Sortier- und Prüfaufgaben entlastet werden, da die Vision-Systeme nicht ermüden. Weitere Einsatzfelder sind die automatisierte Zuführung (Intralogistik) und Bereiche, in denen Prüf- und Messverfahren von beispielsweise Form, Maßhaltigkeit oder Farbe ‚berührungslos‘ sein sollen.

Embedded Vision

‚Enabler‘ für die Fabrikautomatisierung
Robotik und Machine Vision ermöglichen die automatisierte Handhabung forminstabiler Materialien.
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Neben den klassisch PC-basierten Vision-Systemen, bei denen auch mehrere Industriekameras per Kabelstrecke Bilder an einen Industrie-PC liefern, ermöglichen Embedded Vision-Systeme die Verarbeitung der ‚gesehenen‘ Daten auf kleinen, kompakten und ressourcenschonenden Geräten. Diese kapseln die Vision-Aufgabe von Bildaufnahme, Verarbeitung und Ergebnisweiterleitung eng zusammen, wodurch sie platzsparend ohne lange Kabelstrecken zur Datenübertragung Ergebnisse ‚on the edge‘ direkt am Ort des Geschehens erzeugen können. Durch den relativ hohen Integrationsaufwand für stark anwendungsoptimierte Systeme profitieren hiervon vor allem größere Projekte.

Mit aktuellen Smart-Kameras mit (oftmals) integriertem KI-Beschleuniger stehen hingegen auch konfigurierbare Embedded Vision Komplettlösungen am Markt zur Verfügung, die sich mit relativ wenig Aufwand in die eigene Fertigung integrieren lassen. Damit ist diese Geräteklasse gerade bei der Automation von Kleinserien benutzerfreundlich und kosteneffizient einsetzbar.

KI als Grundstein

Entgegen allgemeinen Vorurteilen gegenüber Künstlicher Intelligenz eröffnet KI gerade im Bereich der Machine Vision völlig neue Anwendungsfelder, die von klassischer, regelbasierter Bildverarbeitung nicht abgedeckt werden können. Während viele Roboter ihre Umgebung nicht verstehen und lediglich befehlsbasiert arbeiten können, ermöglicht Machine Learning das Übertragen menschlicher Qualitätsanforderungen auf KI-basierte Systeme, die dieses Wissen dann auf neue Situationen anwenden und adaptiv reagieren können. Notwendig wird diese Fähigkeit zum Beispiel bei der Erkennung und Verarbeitung von Objekten mit natürlicher Varianz, wie Lebensmitteln, Pflanzen oder anderen organischen Objekten. Farbe, Oberfläche, Größe, Gewicht oder Form weisen beispielsweise bei Naturprodukten eine große Varianz auf, die regelbasiert kaum vollständig zu beschreiben ist. Die KI lässt sich jedoch mit entsprechenden Trainingsdaten so trainieren, dass ein breites Spektrum zuverlässig erkannt, kategorisiert und damit auch verarbeitet werden kann. Soll beispielsweise Obst auf einem Förderband nach verschiedenen Qualitätsmerkmalen sortiert werden, kann ein Machine Vision-System auf Basis Künstlicher Intelligenz präzise ‚gut‘ von ‚schlecht‘ oder auch weitere Klassen unterscheiden.

Ein Beispiel aus der Praxis

Das Münchner Deep-Tech Start-up ‚sewts‘ hat sich einer besonderen Aufgabe im Bereich der Automatisierung gestellt: dem Handling forminstabiler Materialien. Darunter fallen Textilien, aber potenziell auch Folien, Schaumstoffe, Kabel oder verformbare Kunststoffteile. Sewts entwickelt mittlerweile serienreife Lösungen, mit deren Hilfe Roboter – ähnlich dem Menschen – in Echtzeit vorhersehen, wie sich eine Textilie verhält und ihre Bewegung entsprechend daran anpassen. Möglich wird dies durch den Einsatz moderner Machine Vision-Technologie im Zusammenspiel mit intelligenter Software.

‚Enabler‘ für die Fabrikautomatisierung
Der Autor: Heiko Seitz ist Technischer Redakteur bei IDS in Obersulm.
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Hierbei fungieren Industriekameras von IDS in einem Mehrkamerasystem als die sehenden Augen des Roboters -mit der Aufgabe, nicht nur Form und Lage der Stoffe, sondern auch geeignete Greifpunkte zu identifizieren. Je nach Bedarf und Anforderung des Endkunden kommen zwei bis drei 3D-Kameras mit Künstlicher Intelligenz der ‚Ensenso‘-Serie zum Einsatz, die eine hohe Genauigkeit der Tiefendaten gewährleisten und damit ein digitales Abbild der räumlichen Situation erschaffen. Besonders lichtempfindliche 2D-Kameras ‚uEye‘ ergänzen das Set-up, um auch Oberflächen- und Strukturmerkmale zu erfassen. Diese Kombination aus Robotik und moderner Bildverarbeitung schließt eine der letzten Automatisierungslücken in Großwäschereien und ebnet den Weg für die automatisierte Handhabung leicht verformbarer Materialien in verschiedenen Einsatzgebieten.


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