Antriebstechnik

Was hinter dem Konzept des Flächenmotors steckt

22. März 2013, 16:58 Uhr | Prof. Dr. Berend Denkena, Jan Friederichs, Jonathan Fuchs
Uni Hannover, Werkzeugmaschine mit einem Antrieb, T
© IFW

Zur Führung eines Werkstücks auf einer Kreisbahn benötigt eine Werkzeugmaschine bislang zwei Elektromotoren. Wissenschaftler der Universität Hannover haben jetzt eine neue Idee realisiert: Warum nicht anstatt der zwei Linearmotoren nur einen Antrieb für die Positionierung in der Ebene nutzen, welcher Vorschubkräfte in zwei Achsrichtungen gleichzeitig erzeugen kann?

Die Bewegung in einer Werkzeugmaschine wird typischerweise wie folgt erzeugt: Ein linearer Motor bewegt einen Schlitten in eine Achsrichtung, während ein zweiter Linearmotor als serielle Kinematik mitbewegt werden muss. Gemeinsam können diese beiden Motoren alle Punkte einer Ebene ansteuern und beispielweise einen Kreis, ein Rechteck oder eine gesteuerte Bahn abfahren. Geführt werden diese Antriebe üblicherweise innerhalb eines Maschinentisches mit zwei konventionellen Profilschienenführungen. Nachteilig in einer Anordnung mit Lineardirektantrieben ist jedoch die serielle Struktur, die eine zusätzlich bewegte Masse darstellt. Ferner wird mehr Platz in der Konstruktion benötigt. Dies sind ungünstige Eigenschaften, wenn es um schnelle und präzise Positioniervorgänge – insbesondere in hochdynamischen Werkzeugmaschinen – geht.

Weiterhin nutzen bisherige planare Antriebskonzepte oftmals das Reluktanzprinzip zur Erzeugung der Vorschubkräfte auf planen Ebenen. Vorteile gegenüber einer konventionellen Lagerung entstehen in diesem Fall, wenn Mehrkoordinatenantriebe mit reibungsfreien Luftlagerungen kombiniert werden. Die vorhandene Anziehungskraft zwischen dem aktiven Teil des Motors ist somit ideal mit der entgegenwirkenden Kraft einer Luftlagerung kombinierbar. Ferner sind die bewegten Massen der Primärteile recht klein, was für eine hohe Dynamik bei Positioniervorgängen wie Pick&Place-Anwendungen sorgt. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass die Vorschubkräfte der Reluktanzantriebe im Verhältnis zur Baugröße klein sind – typisch kleiner 300 Newton. Oftmals ist die Positioniergenauigkeit zudem von der Schrittweite des Motors abhängig. Die Größe des Sekundärteils bestimmt schließlich die maximalen Verfahrwege der Anordnung und beträgt in konventioneller Bauweise etwa 1000 mm × 1000 mm.

Uni Hannover, Flächenmotor mit Maschinengestell
Konstruktive Ausführung des Flächenmotors mit Maschinengestell: Dargestellt ist der Flächenmotor mit Hauptkomponenten, wie dem elektrischen Primärteil, dem magnetischen Sekundärteil, dem linearen Führungssystem und dem Maschinengestell.
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Demgegenüber bieten direktange­triebene Synchron-Planarmotoren den Vorteil einer höheren Kraftdichte des Primärteils. Prinzipbedingt ist die Vorschubkraft größer als bei Reluktanzantrieben, da hier Permanentmagnete zum Einsatz kommen. Die Positioniergenauigkeit des Motors hängt von dem verwendeten Glasmaßstab zur Posi­tions­messung und der nachgelagerten Regelung ab. Typischerweise sind hohe Regelbandbreiten bis zu einer Frequenz von 1 kHz für den Positionsregler realisierbar. Dem stehen aber auch Nachteile gegenüber, wie zum Beispiel eine notwendige wasserbasierte Kühlung des Motors.

Aufgrund des Einsatzes von Selten­erden-Permanentmagneten (NdFeB – Neodym-Eisen-Bor) entsteht zudem eine statische Vormagnetisierung des Sekundärteils. Daraus resultieren starke Anziehungskräfte zwischen Primär- und Sekundärteil des Motors, die kon­struktiv zu kompensieren sind. Durch den Einsatz einer Kreuztischführung ist das System auch nicht reibungsfrei; vielmehr hängt die Reibung von der Geschwindigkeit des bewegten Tisches und von der Lastmasse ab. Wegen der gestiegenen Magnetmaterialkosten entstehen bei der Technologie der Direktantriebe weiterhin höhere Kosten als dies beispielsweise bei Kugel­ge­windetrieben der Fall ist. Nicht zuletzt stellt dieses Konzept hohe Anforde­rungen an das Design und die Auslegung des Kreuztisches mit einer Struktur hoher Steifigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht.

Mit dem Anspruch, die genannten Nachteile bisheriger Führungskonzepte zu eliminieren, reifte am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Universität Hannover schließlich die Idee, anstatt der zwei Linearmotoren nur einen Antrieb für die Positionierung in der Ebene zu nutzen, welcher Vorschubkräfte in zwei Achsrichtungen gleichzeitig erzeugen kann. Das Ergebnis, der so genannte „Flächenmotor“, welcher mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickelt wurde, besitzt nur ein Motorprimärteil und ein mit Permanentmagneten be­stücktes Motorsekundärteil. Durch die Anordnung kann die zweite, zusätzlich mitgetragene Linear­achse entfallen. Direktantriebe besitzen weiterhin den Vorteil, keine mechanischen Übertragungselemente nutzen zu müssen, wie dies beispielsweise bei einem Kugelgewindetrieb mit Kugelrollspindel und Kugelgewindemutter der Fall ist.

Das aktive Primärteil des Motors mit dem Wicklungssystem ist vergleichbar dem Stator einer Rotationsmaschine und kann sich linear über der Fläche bewegen. Das passive Sekundärteil mit seinen Permanentmagneten wiederum lässt sich mit einem mit Permanentmagneten bestückten Rotor vergleichen. In Analogie zu Rotationsmaschinen besitzt das entwickelte Primärteil ein drei­phasiges Wicklungssystem in Sternschaltung. Die integrierten Spulengruppen für die X- und Z-Achse werden durch je einen eigenen Antriebsregler getrennt voneinander bestromt.

Der Spulenträger besteht aus einem ferromagnetischen Material in geblechter Bauform, um Verluste zu mini­mieren, und fungiert als Rückschlussjoch und Kraftüberträger. Das Sekundärteil besteht aus einem schachbrettartig angeordneten Magnetsystem von Nord- und Südpolen, welche geometrisch zum Primärteil ausgerichtet sind. Die Größe der Magnete wird abhängig vom Primärteil gewählt. Größere Verfahrwege lassen sich über eine Änderung der Baugröße des Sekundärteils realisieren.

Uni Hannover, Prototyp des Flächenmotors
Der Prototyp des Flächenmotors, angeordnet in einer klassischen Führungskonstruktion als Kreuztisch. Im Bild zu erkennen sind die Magnete auf der Bodenplatte der Anordnung.
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Am IFW existiert bereits ein prototypischer Aufbau, bei dem der Motor hängend an einer Kreuztischkonstruktion bestehend aus X- und Z-Schlitten angebracht ist. Die Position wird durch zwei Glasmaßstäbe gemessen, welche am X- und Z-Schlitten montiert sind. Die zurzeit realisierte Schrittweite der Positionsmessung liegt bei 5 µm. Genauere Maßstäbe mit verbesserter Interpolation können die Schrittweite noch mehr verkleinern. Stoßdämpfer am Ende der Führungswege begrenzen als Endlagendämpfer die Verfahrbereiche. Auf der Oberseite steht ein Bohrungsraster zur Verfügung, auf dem sich Werkstücke durch Schraubverbindungen befestigen lassen. Die Verfahrwege des ersten Prototypen liegen bei 210 mm in der Z-Achse und 30 mm in der X-Achse. Die Polteilung des Motors beträgt 22 mm. Dabei definiert die Polteilung den Abstand zwischen den Mittelpunkten zweier Permanentmagnete. Dieser Abstand ist in beide Verfahrrichtungen des Motors gleich. Im Betrieb bewegt der Prototyp derzeit einen Arbeitstisch mit den Abmessungen 300 mm × 300 mm, der sich beim Positionieren mit bis zu 1 g beschleunigen lässt.

Innerhalb des Primärteils – im Wicklungssystem der Spulen – sind Kalt­leiter als Temperaturschalter verbaut. Diese sind auf eine maximale Wicklungstemperatur von +120 °C ausgelegt, begründet durch die Isolationseigenschaften des Leitermaterials. Um die obere Temperaturgrenze der Wicklungen im Dauerbetrieb einzuhalten, sind innerhalb des Motors zwei Kühlsysteme installiert. Diese haben die Aufgabe, die durch die Bestromung der Wicklungen eingebrachte thermische Energie als Wärmestrom an die wasserbasierte Kühlung abzugeben. Der Kühlmittel-Massenstrom durchströmt dabei ein Rohrleitungssystem, welches nahe den Wicklungen verbaut ist.

Uni Hannover, Fräsbearbeitung von Kunststoffteilen mit FLächenmotor und 5 achsiger Hybridkinematik
Fräsbearbeitung von Kunststoffteilen mit Flächenmotor und 5-achsiger Hybridkinematik: Kreisformtests beurteilen das dynamische Verhalten des Antriebs. Die Motorkräfte werden online durch einen integrierten Kraftsensor gemessen und ausgewertet.
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Eine der zentralen Herausforderungen war die elektromagnetische Auslegung des Primärteils sowie der passenden Sekundärteilgeometrie, um ein symmetrisches Verhalten der Vorschubkräfte in beide Achsrichtungen zu erreichen.

Derzeit werden am IFW im Laboraufbau Fräsversuche an Kunststoff und Aluminiumbauteilen mittels einer hybrid­kinematischen 5-achsigen Werkzeugmaschine durchgeführt. Die eingesetzte direktangetriebene Spindel besitzt eine HSK-32-Schnittstelle und kann bei 10 kW Spindelleistung eine Maximaldrehzahl von 30.000 Umdrehungen pro Minute erreichen. Ziel dieser Untersuchungen ist es, die Einsatzfähigkeit des Antriebs unter Berücksichtigung externer Fräskräfte in Werkzeugmaschinen zu erforschen. Im Fokus stehen hier insbesondere die Auswirkungen von statischen und dynamischen Störkräften durch einen Fertigungsprozess.

Die Regelung zum Positionieren des Motors erfolgt klassisch durch eine Kaskadenregelung. Dies umfasst insgesamt drei Regelkreise. Der innere Stromregelkreis ist typischerweise als PI-Regler aufgebaut. Dem überlagert ist ein PI-Geschwindigkeitsregelkreis aufgesetzt, welcher das aus der Position differenzierte und gefilterte Signal nutzt, um die Geschwindigkeit zu bestimmen. Letztlich folgt ein überlagerter Lageregelkreis, ausgeführt als P-Regler mit typischer Vorsteuerung des Positionssignals. Die Reglerkaskade wurde auf einem dSpace-Prototyping-System implementiert, wodurch die gewünschte Sollposition des Nutzers eingestellt werden kann. Als spätere industrielle Lösung könnten zwei konventionelle Antriebsregler eine Kombination mit dem Flächenmotor bilden, um Bewegungen in einer Ebene zu erzeugen. Notwendige Kaufkomponenten sind weiterhin die Positionsmesssysteme und eine überlagerte Steuerung – zum Beispiel eine NC-Steuerung für die Positionsvorgaben.

Uni Hannover, zukünftige Anwendung des Flächenmotors
Potenzielle zukünftige Anwendung des Flächen­motors mit industriellen Antriebsreglern als Weiter­entwicklung: Angeschlossen an den Flächenmotor ist das Positions­messsystem mit einer Anzeige.
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Als Fazit lässt sich festhalten: Der neue Flächenmotor ist kompakter in der Bauweise, ausgeglichener in der Leistungsverteilung auf die beiden Einzelachsen und daher dynamischer in der Positionierung. Aus diesem Grund ist er ideal in Sonder-, Dreh- und Fräsmaschinen und in Bestückungsmaschinen einsetzbar, die Teile in x- und y-Richtung bewegen. Besonders für den Fall kleiner bewegter Massen bieten Direktantriebe einen entscheidenden Vorteil. Sie profitieren von der höher nutzbaren Dynamik des Antriebssystems und können schneller Punkt-zu-Punkt-Bewegungen realisieren als konventionelle Antriebe. Damit lassen sich Fertigungszeiten und in der Folge die Fertigungskosten über den Lebenszyklus einer Werkzeugmaschine reduzieren.

Autoren:
Prof. Dr. Berend Denkena leitet das IFW,
Jan Friederichs ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFW,
Jonathan Fuchs arbeitet als Wissen­schaftlicher Mitarbeiter am IFW.


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